Rolf-Peter Warsitz
Scham als Angstlust
Das Philobatismus-Oknophilie-Dilemma im Anschluss an Michael Balint
Michael Balints Unterscheidung zweier Formen der Grundstörung, des Philobatischen und des Oknophilen, ermöglicht ein Verständnis bestimmter Adoleszenzstörungen. Dabei handelt es sich um primitive Formen der Objektbeziehungen, in denen Lust und Angst scheinbar unlösbar miteinander verschränkt sind, weil sie nicht durch eine differenzierte trianguläre Struktur psychischer Repräsentanzen vermittelt werden können. Der ihnen zugrunde liegende psychodynamische Konflikt lässt sich als Schamangst charakterisieren, welche eher auf frühe, narzisstistische Aspekte der Selbsterkenntnis bzw. des Selbstzweifels als auf die späteren ödipalen Schuldgefühle zurückgeht. Diese Dynamik erfordert auch eine modifizierte psychoanalytische Behandlungstechnik und einen veränderten Umgang mit der Übertragung.
Schlüsselwörter: Ambivalenz, psychoanalytische Psychotherapie, Pubertät, Scham, Philobatismus, Oknophilie.
Annegret Wittenberger
Von Goldgräbern und Geisterjägern – Revisited
An den Beginn des Beitrags wird der vor 20 Jahren bereits veröffentlichte ausführliche Bericht über eine von der Autorin durchgeführte Kinderanalyse gestellt.
Ausgehend von einer stetigen Weiterentwicklung einer »privaten Theorie« während der analytischen Berufstätigkeit betrachtet sie diese mit der Frage: Was hätte ich aufgrund erweiterter theoretischer Kenntnisse, praktischer Erfahrung und selbstreflexiver Entwicklung anders/besser verstanden? Dabei zeigt sich, dass sie heute vor allem ihren »persönlichen Pol« nicht nur mit seinen lustvollen, sondern auch schmerzlichen Anteilen in seiner Auswirkung auf die analytische Beziehung mehr beachtet hätte. Wenn sich Analytikerinnen und Analytiker darüber klar sind, dass die eigene Befindlichkeit, neben der der Patientinnen und Patienten und deren Familien, sich auf die Analyse auswirkt, erhöht sich mit der Wahrnehmung der Komplexität auch das kreative Potenzial der analytischen Situation.
Schlüsselwörter: Kinderpsychotherapie, Übertragung, Gegenübertragung, Selbst-
analyse.
Hans Hopf
Abenteurer »Junge«
Von Philobatismus und Angstlust, vom Risiko und der Neigung zu externalisieren
Jungen haben einige auffallende Neigungen: Sie haben Freude an der Bewegung, am rivalisierenden Kräftemessen und sie neigen zu grandiosen Fantasien. Gleichzeitig ist eine Lust am Risiko und am Wagnis zu erkennen, die wir Angstlust nennen. Es besteht aber auch eine Neigung zu externalisieren: Innerseelische Konflikte werden dann nach außen gekehrt und agiert. Diese Tendenzen der Jungen haben biologische, phylogenetische, aber auch individuelle Ursachen, die als Ergebnisse von Bindungs- und Beziehungsproblemen und von lebensgeschichtlichen Ereignissen geprägt sind.
Schlüsselwörter: Externalisation, Angst, Risikoverhalten, Affektregulation, Thrills, Philobatismus.
Michael Günter
Thrills and Regressions revisited
Welche Träume träumen wir im Zeitalter elektronischer Medien?
Michael Balint entwickelte in seinem 1959 erschienenen Buch Angstlust und Regression die Überlegung, dass es zwei Reaktionsweisen gebe, mit denen Menschen auf die traumatische Entdeckung reagieren, dass es feste und unabhängige Objekte gibt: die Oknophilie und den Philobatismus. Der Autor stellt in dem Aufsatz dar, in welcher Weise die Abwehrposition des Philobatismus, der Beschäftigung mit den freundlichen Weiten, eng mit dem Aufkommen elektronischer Bildmedien zusammenhängt. Die »freundlichen Weiten« des Fernsehens und des Internets sprechen speziell Jugendliche stark an und bieten ihnen Erfahrungsräume jenseits einer zu eng und gefährlich empfundenen Objektbeziehung. Die Gefahren, die in diesen imaginierten »freundlichen Weiten« lauern, das Auftauchen gefährlicher Objekte und die manchmal daraus resultierenden Katastrophen werden in der Arbeit anhand dreier Fallvignetten von jugendlichen Sexualstraftätern, deren Taten in engem Zusammenhang mit dem Internet standen, diskutiert.
Schlüsselwörter: Regression, Balint, Kommunikationsmedien, Adoleszenz, sexuelle Entwicklung.