Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie
Zeitschrift für Psychoanalyse und Tiefenpsychologie
Triebtheorie
E-Journal (pdf) – Heft 193, 53. Jg., 1/2022
Inhalt
Vorwort
Beitrag 1
Beitrag zur Wissenschaftstheorie
Frank Dammasch
Sexualtrieb, soziales Leid und die Entwicklung eines Forschungs-teams der Intimität – aus der Frühzeit der Psychoanalyse
Beitrag 2
Heinz Müller-Pozzi
Der Andere und die infantile Sexualität
Beitrag 3
Timo Storck
Übertrieben?
Zur Relevanz der psychoanalytischen Triebtheorie für die Entwicklungspsychologie
Beitrag 4
Inge Seiffge-Krenke
Unvermindert aktuell und heute wichtiger denn je: die Bearbeitung des ödipalen Konflikts
Beitrag 5
Ulrich A. Müller
Schöpferische Lust als Ausweg aus der Not des Lebens
Ausgang und Dynamik psychischer Konflikte im Spielen
Werkstattbericht
Martin Löffler
Gefühlsstau – eine analytische Kurzzeittherapie
Forum
Thomas Hüller
Gedanken eines Gutachters
Buchbesprechungen
Die Autorinnen und Autoren des Heftes
Ankündigungen
Beitrag zur Wissenschaftstheorie
Frank Dammasch
Sexualtrieb, soziales Leid und die Entwicklung eines Forschungsteams der Intimität – aus der Frühzeit der Psychoanalyse
Entlang der Linie des Buches Intimität und soziales Leid – Archäologie der Psychoanalyse von Alfred Lorenzer wird eine Skizze der medizinischen und erkenntnistheoretischen Wurzeln der Psychoanalyse entfaltet. Es wird einerseits die Bedeutung und Sichtbarmachung der Sexualität für die Neurosenbildung im Laufe der Zeiten herausgearbeitet, andererseits konzentriert sich der Aufsatz auf die radikale Veränderung der Arzt-Patientin-Beziehung und die Entwicklung eines szenischen Verstehens durch Freud. Anhand der Freudʾschen Fallnovelle ›Katharina‹ wird der Wandel von der medizinischen Hierarchie zwischen Wissendem (Arzt) und Nichtwissenden (Patient) hin zu einer forschenden Zweierbeziehung zur gemeinsamen Versprachlichung der sozial unterdrückten krankmachenden triebdynamisch aufgeladenen Erlebnisszenen dargestellt. Schon der Trieb basiert in Lorenzers Konzept auf einem bio-sozial hergestellten szenischen Erlebnismuster. Es geht also um das Wechselspiel zwischen gesellschaftlichen Verhältnissen und dem Subjekt, dessen Innenwelt bereits die szenischen Niederschläge des Konflikts zwischen Kultur und Natur, zwischen Körperfiguren und Zuschreibungen enthält.
Schlüsselwörter: Erkenntnistheorie, Geschichte der Psychoanalyse, Sexualtrieb, Forschen und Heilen, Therapeut-Patient-Beziehung, szenisches Verstehen.
Timo Storck
Übertrieben?
Zur Relevanz der psychoanalytischen Triebtheorie für die Entwicklungspsychologie
An die psychoanalytischen Konzeptualisierungen von infantiler Sexualität oder Trieb kann die Frage nach deren Relevanz gestellt werden. Im vorliegenden Rahmen werden zwei konzeptuelle Argumente entwickelt: Zum einen wird »Trieb« als etwas erörtert, das sich auf eine psychosomatische Vermittlungsfunktion, auf die Vermittlung von Erregung in Erleben bezieht. Triebpathologien werden dann verstehbar als Unterbrechung einer solchen Vermittlung oder Verbindung, eingebettet in eine Konzeptualisierung der Rolle leiblicher Begegnung mit Anderen, die das Erleben von Berührung als Kontakt an einer Grenze bedeutet. Zum anderen kann »Trieb« in einer dialektischen Weise als etwas verstanden werden, das sich auf die wechselseitige Regulation von Erregung und Beruhigung bezieht. Schließlich werden im Rahmen einer psychoanalytischen Körper-Nosologie die Konsequenzen für Krankheitsverständnis und Behandlungstechnik in der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie skizziert.
Schlüsselwörter: Trieb, Sexualität, Todestrieb, Körper, Psychosomatik.
Inge Seiffge-Krenke
Unvermindert aktuell und heute wichtiger denn je: die Bearbeitung des ödipalen Konflikts
Am Beginn der psychoanalytischen Theorienbildung wurde der Ödipuskomplex als zentral für die Ursache psychischer Störungen angesehen. Seit der Konzeption von Freud sind starke familiendynamische und gesellschaftliche Veränderungen eingetreten, die zu einer Diskussion geführt haben, ob der Ödipuskomplex gegenwärtig obsolet sei. Der Beitrag zeigt anhand von Fallbeispielen, in denen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine unangemessen starke Rolle in der Familie zukommt und anhand von aktuellen Entwicklungen wie der Zunahme von Transgender-Patienten, dass ödipale Konzepte möglicherwiese sogar bedeutsamer sind als früher, da wesentliche Lernprozesse wie die Generationendifferenzierung, der ödipale Verzicht und Größenphantasien in der Therapie zu bearbeiten sind. Der ödipale Konflikt ist eingebettet in Konzeptualisierungen von verschiedenen intrapsychischen Konflikten im Sinne der OPD-KJ und weist Bezüge zur Strukturpathologie auf. Therapeutisch ist die Bearbeitung des vollständigen Ödipuskomplexes notwendig; verkürzte Darstellungen des Ödipuskomplexes sind offenkundig eine Ursache für die Idee des Obsoleten.
Schlüsselwörter: Ödipuskonflikt, Doppelidentifizierung, Bisexuelles Schwanken, Struktur, OPD-KJ.
Ulrich A. Müller
Schöpferische Lust als Ausweg aus der Not des Lebens
Ausgang und Dynamik psychischer Konflikte im Spielen
Die Fähigkeiten zum Spielen ist Ausgangspunkt jeder Entwicklung und insofern auch Grundlage der Kultur. In Anlehnung an Donald Winnicott erschließt sich dem Autor in der Lust des Kindes zum Spielen die Befähigung, sich eine bis dahin unbekannte Welt bekannt zu machen, und eröffnet dadurch Möglichkeiten zur schöpferischen Aneignung des gleichermaßen Bedrohlichen wie Reizvollen. Ausgehend von den Säuglingsbeobachtungen Winnicotts und weitergehend in der Darstellung und Diskussion eigener klinischer Praxis mit Kindern wie auch mit heranwachsenden Jugendlichen wird die Bedeutsamkeit der Fähigkeit des Spielens erörtert und in ihren Möglichkeitsräumen ausgeleuchtet. Das Spiel, das auch den Erwerb des Sprechens einschließt, wird dabei als zentrales Moment der Triebentwicklung gedeutet, in der sich letztlich das Ziel ausdrückt, das Leben zu ermöglichen und sich im Weiterleben die Realität der Lebenswelt anzueignen und schöpferisch in ihren Facetten auszuprobieren und auszukosten. Dass die Angst als gleichsam kategorische Angst vor der Bedrohung des Lebens wie auch als Angst vor dem Unbekannten Motor des Impulses zur fortgesetzten Schöpfung ist, ist Ausgangspunkt der Überlegungen des Autors. Die Fähigkeit zum Spielen wird als kreative Aneignung in der realen Not des Lebens beschrieben, die sich daher folgerichtig in der analytischen Behandlung zur Bearbeitung von Krisen anbietet und implizit die Chance zur Sublimierung der Triebimpulse bietet.
Schlüsselwörter: Angst, Trieb, Spiel, Kreativität, Sublimierung.