Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie
Fachzeitschrift für Psychoanalyse und Tiefenpsychologie
Frühe Verluste
Printausgabe – Heft 198, 54. Jg., 2/2023
Inhalt
Vorwort
Joachim Küchenhoff
Frühe Trennungen und ihre Schicksale im Leben und im Spiegel der therapeutischen Beziehung
Sabine Fiala-Preinsberger
Schmerzbeziehung – Über das Phänomen, wie sich elterliche Verlusterlebnisse in der frühen Beziehung zum eigenen Kind re-aktualisieren
Marianne Rauwald
Aus der Trauma-fokussierten Langzeitbehandlung einer kumulativ und extrem traumatisierten Jugendlichen aus der Zentralafrikanischen Republik«
Diana Pflichthofer
»Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide...« – Von der Notwendigkeit zu erfahren, was man verloren hat
Frank Rosenberg
»Der größte Fehler ist, dass ich auf der Welt bin«
Möglichkeiten der Behandlung globaler Scham adoleszenter Patient*innen
Psychoanalytische Leitlinie der VAKJP
Arne Burchartz / Gudrun Kallenbach / Isabell Ondracek unter Beteiligung von Margerete Schött
Traumatisierung
Buchbesprechungen
Die Autorinnen und Autoren des Heftes
Ankündigungen
Frühe Trennungen und ihre Schicksale im Leben und im Spiegel der therapeutischen Beziehung
Was frühe Verluste bewirken, wird im Kontrast zur normalen frühkindlichen Entwicklung besonders gut deutlich, die deshalb am Anfang dieser Arbeit dargestellt wird. Besonderer Wert wird dabei auf die transformative Kapazität der primären Bezugspersonen gelegt. Frühe Verluste schränken sie mehr oder weniger ein und behindern die psychische Entwicklung. Die Folgen werden im Blick auf Repräsentations-, Zeiterlebens- und Objektbeziehungstheorien differenziert erfasst. Die soziopolitischen Umstände werden einbezogen, sie müssen immer mitgedacht werden. Eine Kasuistik schließt sich an, die zeigt, wie die frühen traumatischen Erfahrungen sich in der Übertragungsbeziehung darstellen und von dort her rekonstruierbar sind. Abschließend wird die Kasuistik nach den drei beschriebenen Dimensionen (Repräsentation, Zeit, Objektbeziehung) ausgewertet.
Schlüsselwörter: Emotionale Belastung, emotionales Trauma, Entwicklung in der frühen Kindheit, psychotherapeutische Übertragung, psychoanalytische Therapie.
Sabine Fiala-Preinsperger
Schmerzbeziehung – Über das Phänomen, wie sich elterliche Verlusterlebnisse in der frühen Beziehung zum eigenen Kind re-aktualisieren
Manche Eltern können rund um die Geburt ihres Kindes kein Glücksgefühl entwickeln, weil unerwartet eine Trauerdynamik in Gang kommt, mit der sie nicht gerechnet haben. Sie wissen meist gar nicht, dass Trauer die Quelle ihres Problems ist. Volkan spricht von »abgründiger Trauer« (2000, S. 97), wenn sich daraus eine Depression entwickelt. Durch die immensen psychischen und physischen Umwälzungen in der Schwangerschaft und während des Geburtsvorgangs können frühere Verluste von bedeutsamen Menschen Aktualisierung erlangen. Eltern können in einen schweren Trauerprozess hineinschlittern, der Jahre anhalten kann und dem Bewusstsein nicht unbedingt zugänglich ist. Die Beziehung zwischen Kind und Eltern ist dadurch blockiert und zeichnet sich durch einen wortlosen Schmerz aus. Die psychoanalytisch orientierte Eltern-Kleinkind-Therapie kann ein Weg sein, um den Zugang zum Kind und zu sich selbst in der Identität und Rolle als Eltern zu finden.
Schlüsselwörter: Geburt, Trennung, Trauer, Fantasien, Projektion, Depression, psychoanalytisch orientierte Eltern-Kleinkind-Therapie.
Marianne Rauwald
Aus der Trauma-fokussierten Langzeitbehandlung einer kumulativ und extrem traumatisierten Jugendlichen aus der Zentralafrikanischen Republik
Der Beitrag beschreibt am Beispiel der Behandlungsgeschichte einer 15-jährigen afrikanischen Geflüchteten die besonderen Herausforderungen und Klippen in der therapeutischen Arbeit mit kumulativ traumatisierten Jugendlichen. Verlusterfahrungen, wie sie sich bis in die Gegenwart über zahlreiche neue Verluste und Beziehungsabbrüche immer wieder neu inszenieren, bestimmen die therapeutische Arbeit und stellen diese auch immer wieder infrage. Oszillierend zwischen der Angst vor neuen Bindungs- und Beziehungsverlusten bei der gleichzeitigen Hoffnung auf eine wiedergefundene Erfahrung von Nähe und Aufgehobensein ist es eine therapeutische Aufgabe, die Dosierung von Nähe und Distanz, wie die junge Patientin sie herstellt, auch dann zu halten, wenn sie den therapeutischen Rahmen attackiert. In dem so wachsenden epistemischen Vertrauen kann es gelingen, sich auf den herausfordernden Prozess eines wechselseitigen Verstehens einzulassen, auch wenn aktualisierte traumatische Introjekte erforderlich machen, der Patientin als reales und gegenwärtiges Objekt zur Verfügung zu stehen. Die in solchen Momenten bestehende Gefahr erneuter Fragmentierung kann über eine aktive Zeugenschaft und eine präsente Begleitung in einem dabei entstehenden gemeinsam erlebten interpersonalen Raum eine Wiederannäherung und einer Aneignung der einst überwältigenden Erfahrungen ermöglichen.
Schlüsselwörter: Flucht, Geflüchtete, Krisenintervention, Retraumatisierung, Trauma, Verlust, Verlusterfahrungen.
Diana Pflichthofer
»Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide...« – von der Notwendigkeit zu erfahren, was man verloren hat.
Sehnsucht beinhaltet ein schmerzliches Verlangen, ein süchtiges Begehren, das doch selten dauerhaft erfüllt werden kann. Entweder ist das ersehnte Objekt nicht (mehr) für mich zu haben oder es existiert überhaupt nicht (und ist dann für niemanden zu haben). Im letzteren Fall sprechen wir von idealisierten Objekten. Verliert ein Mensch sehr früh im Leben (s)ein wichtiges Objekt und überlebt diesen Verlust, dann bleibt in seinem Inneren eine Leerstelle, die er bewusst oder eben meistens unbewusst zu füllen sucht. Eine Art »freies Radikal«, das eine Bindung sucht und zugleich einen gewissen Vorwurf an die Welt und die Objekt mit sich führt. Anhand des literarischen Beispiels von Mignon und einem Fallbeispiel aus einer Supervision soll diesem Vorwurf und dem Phänomen der Sehnsucht nachgegangen werden.
Schlüsselwörter: Frühes Trauma, Selbstdestruktion, maligne Regression, symbolische Aktivität.
Frank Rosenberg
»Der größte Fehler ist, dass ich auf der Welt bin«
Möglichkeiten der Behandlung globaler Scham adoleszenter Patient*innen
Der Artikel zeigt Möglichkeiten auf, die Auswirkungen globalen, d. h. allumfassenden und überschwemmenden Schamerlebens auf dem Hintergrund traumatischer Objektbeziehungserfahrungen zu behandeln. Die analytische Literatur vermittelt ein tiefes Verständnis der psychodynamischen Prozesse im Schamerleben, jedoch bleiben konkrete Behandlungsstrategien häufig unerwähnt. Die beschriebenen Überlegungen basieren auf dem grundlegenden Verständnis verschiedener Übertragungsbereitschaften und dienen der Handhabung schwerer Übertragungsdynamiken. Besonderes Gewicht wird der Darstellung und Handhabung der Übertragung innerer Objekte sowie deren Differenzierung gegeben. Daneben wird auf die Bedeutung des Durcharbeitens traumatischer Erfahrungen im Zusammenhang mit der Auflösung globaler Schamdynamiken eingegangen.
Schlüsselwörter: Behandlungstechnik, Deprivation, Dissoziation, Durcharbeiten, Introjektion, globale Scham, Trauma, Traumakonfrontation, Übertragung.