
Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie
Zeitschrift für Psychoanalyse und Tiefenpsychologie
Psychoanalytische Ansätze in der Begegnung mit Geflüchteten
Printausgabe – Heft 179, 49. Jg., 3/2018
Inhalt
Vorwort
Sabine Vogel / Katharina Fitte
Wenn es um Gefühle geht, ist das Fremde plötzlich weg
Aus der Arbeit mit Geflüchteten – eine Praxisreflektion
Erwin Sturm
Behandlung in sieben Stunden?
Gedanken zu analytischen Gesprächen mit einem jungen Geflüchteten
Marianne Rauwald
Liebe in Zeiten der Flucht
Psychodynamische Überlegungen zur Bedeutung von Familie im Kontext von Flucht
Birgit Baumann
»Innerlich verroste ich…«
Aspekte psychotherapeutischer Langzeittherapien mit traumatisierten Flüchtlingen am Beispiel eines zu Behandlungsbeginn 17;6 Jahre alten afghanischen Flüchtlings
Claudia Burkhardt-Mußmann
»Die Mäuse sind schuld«
Entwicklungskonflikte eines pubertären Jugendlichen im Kontext von Krieg, Flucht und Leben in einer Flüchtlingsunterkunft
Jasminka Zulic
Kulturelle Unterschiede und menschliche Begegnungen
Ein Bericht aus der therapeutischen Arbeit mit geflüchteten Menschen
Werkstattbericht
Uta Einnolf
Flüchtlingskinder nach dem Ankommen in Deutschland
Doris Maass
Fremdsein und Fremdeln
Überlegungen zur häuslichen Frühförderung in Migrantenfamilien
Werkstattbericht
Christiane Lutz
Expressive Sandarbeit
Ein Pilotprojekt unter Leitung von Eva Pattis Zoja
Buchbesprechungen
Die Autorinnen und Autoren des Heftes
Ankündigungen
Wenn es um Gefühle geht, ist das Fremde plötzlich weg
Aus der Arbeit mit Geflüchteten – eine Praxisreflektion
Im Zentrum des Artikels stehen Beginn und Anfangsphase einer Kinderbehandlung. Ein sechsjähriges afghanisches Mädchen kommt mit ihrer Familie; sie kommt ins Spielen, dann ins Sprechen; schließlich kommt sie auch allein.
Wir fragen, ob in der Psychotherapie mit Geflüchteten, bei denen es sich fast durchweg um traumatisierte Menschen in höchst prekären Situationen handelt, eine Umstellung der gewohnten Interventionspraxis geboten ist. Eine Ausweitung des therapeutischen Rahmens – manchmal als unfreiwillige Komplikation, manchmal als sinnvolle Erweiterung des Settings – wird diskutiert.
Schlüsselwörter: Flüchtlinge, Trauma, Kinderpsychotherapie, psychoanalytische Therapie, psychotherapeutische Technik.
Erwin Sturm
Behandlung in sieben Stunden?
Gedanken zu analytischen Gesprächen mit einem jungen Geflüchteten
Die Arbeit beschreibt anhand der ausführlichen Darstellung der analytischen Gespräche mit einem 24-jährigen Geflüchteten, wie eine solche »Behandlung« einem akut dekompensierten, vor und während der Flucht schwer traumatisierten Menschen helfen kann, seine innere und äußere Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Insbesondere werden Intensität und die schwer aushaltbaren Bilder, Gegenübertragungsphantasien und -affekte dargestellt und in Bezug zu der Entwicklung des Patienten vor und während der Behandlung gesetzt.
Zum Abschluss wird ein Modell vorgeschlagen, mit welchem plausibel wird, warum nur bei wenigen Geflüchteten in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft therapeutische Gespräche unbedingt erforderlich sind, obgleich eine sehr große Zahl an Traumafolgestörungen leidet.
Implizit wird dafür geworben, das spezifische analytische Verständnis menschlichen Erlebens für die sehr anspruchsvolle und (teilweise über-)fordernde Arbeit mit Geflüchteten zur Verfügung zu stellen, auch da sie ein hohes Maß an Sinnhaftigkeit und damit mittelbarer Befriedigung beinhaltet.
Schlüsselwörter: Trauma, Geflüchtete, Resilienz, Gegenübertragung, Enactment.
Marianne Rauwald
Liebe in Zeiten der Flucht
Psychodynamische Überlegungen zur Bedeutung von Familie im Kontext von Flucht
Flucht und Migration gehen für betroffene Familien mit zahlreichen gravierenden Belastungen vor, während und auch nach dem Ankommen in einer neuen Umgebung einher. Gerade kumulative traumatische Erfahrungen haben oft überdauernde und vielfach auch generationenübergreifende Folgen. Diese werden vor allem im Rahmen familiärer Beziehungen deutlich, die dadurch hoch belastet sein können. Besonders betroffen sind die meist vulnerabelsten Familienmitglieder, die Kinder. Dieser Beitrag setzt sich damit auseinander, wie sich die fluchtbedingte familiäre Belastung dann in Auffälligkeiten zeigt, die Hilfen nach SGB VIII notwendig machen. Es werden auf dem Hintergrund eines psychodynamisch-psychotraumatologischen Verständnisses intrafamiliäre sowie transgenerationale Prozesse der Fluchtverarbeitung beschrieben und anhand von Fallbeispielen erläutert.
Schlüsselwörter: Flucht, Trauma, Familie, Bindung.
Birgit Baumann
»Innerlich verroste ich…«
Aspekte psychotherapeutischer Langzeittherapien mit traumatisierten Flüchtlingen am Beispiel eines zu Behandlungsbeginn 17;6 Jahre alten afghanischen Flüchtlings
In dem Beitrag geht es um die psychotherapeutische Arbeit mit jungen Flüchtlingen. Da Afghanistan als »sicheres Herkunftsland« gilt, sind insbesondere Flüchtlinge aus diesem Land mit einer möglichen Abschiebung konfrontiert. Anhand einer Falldarstellung über einen afghanischen Flüchtling soll aufgezeigt werden, wie sich die unterschiedlichen Traumata (Krieg, Flucht, jahrelange Unsicherheit über den Bleibestatus) auf die Psyche des jungen Mannes ausgewirkt haben. Die Besonderheit in der Arbeit mit einem Dolmetscher wird dabei ebenso beleuchtet wie heftige Gegenübertragungsreaktionen, wenn der »Krieg im Kopf« im Praxiszimmer am Wirken ist.
Schlüsselwörter: Flüchtlinge, Traumatisierung, Afghanistan, Dolmetscher, Abschiebung.
Claudia Burkhardt-Mußmann
»Die Mäuse sind schuld«
Entwicklungskonflikte eines pubertären Jugendlichen im Kontext von Krieg, Flucht und Leben in einer Flüchtlingsunterkunft
Die Verfasserin ist psychoanalytische Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche in eigener Praxis. Als fachliche Leitung des Präventionsprojekts »Jasmin – zwischen Traum und Trauma« für geflüchtete Familien mit Kleinkindern ergeben sich immer wieder Anlässe, das professionelle Behandlungssetting gegen improvisierte Behandlungsräume und spontan aufgegriffene Formen des Zueinander-Findens zu tauschen. Skizziert und reflektiert wird eine Intervention, die sich im Nachgang als Einfühlungsstörung herausstellte. Sie war die »handelnde« Antwort auf einen zwölf Jahre alten Jungen, der Eigentum der Flüchtlingsunterkunft, in der er mit seiner Familie lebt, mutwillig zerstört hat und in der Unterkunft Bettnässer geworden ist.
Schlüsselwörter: Trauma, Intervention, Trauer, Flüchtlinge, Krieg.
Jasminka Zulic
Kulturelle Unterschiede und menschliche Begegnungen
Ein Bericht aus der therapeutischen Arbeit mit geflüchteten Menschen
Dieser Artikel gibt Einblick in die therapeutische Arbeit mit geflüchteten Menschen. Dabei werden die Herangehensweise, die Umstände der Arbeit und schließlich das sich daraus entwickelte Setting kurz beschrieben. Die darauf folgende Fallvorstellung soll den Einblick vertiefen und veranschaulichen, dass trotz vieler möglicher Barrieren und Begrenzungen eine fruchtbare therapeutische Arbeit zustande kommen kann. Die Arbeit mit geflüchteten Menschen fordert von beiden Seiten die Bereitschaft, sich auf eine gemeinsame Arbeit einzulassen, bei der vielleicht vieles zunächst fremd erscheint und viel Raum für Unwissenheit und Unsicherheit bleibt. Eine Arbeit, die sehr fruchtbar sein kann, wenn Bereitschaft, Offenheit und Authentizität gegenüber einer als fremd erlebten Kultur vorhanden sind.
Schlüsselwörter: Psychotherapie, Flüchtlinge, Setting, Traumatisierung, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie.