Karolina Lutze
Grundannahmen des Mentalisierungskonzepts
Das Mentalisierungskonzept beschreibt eine Form der sozialen Kognition, die einen Menschen dazu befähigt, das eigene und das Verhalten anderer durch die Zuschreibung von mentalen Zuständen vorherzusagen und zu interpretieren. In diesem Zusammenhang lassen sich Anknüpfungspunkte an Bindungstheorie, Entwicklungspsychologie und Objektbeziehungstheorie finden, welche in diesem Beitrag betrachtet und diskutiert werden.
Schlüsselwörter: Mentalisierung, Theory of Mind, Bindung, Affektregulierung, Objektbeziehungstheorie.
Maria Teresa Diez Grieser
Transgenerationale Traumatisierungen und Mentalisieren
Eltern, die ihre traumatischen Erfahrungen nicht verarbeiten und integrieren konnten, gefährden die Entwicklung und psychische Gesundheit ihrer Kinder. Die Weitergabe traumaassoziierter Selbst- und Beziehungsregulationsstörungen erfolgt über verschiedene »Transmissionsriemen«. Atmosphärische Momente, Fantasien, Gefühle und Gedanken traumatisierter Eltern, Art und Qualität der Beziehungsgestaltung sowie konkrete Interaktionen mit ihren Kindern führen dazu, dass das Traumatische zwischen den Eltern und ihren Kindern in Erscheinung tritt. Die Traumaprozesse führen dazu, dass die Mentalisierungsfähigkeit der Eltern beeinträchtigt ist und dass in der Folge auch ihre Kinder ihre Mentalisierungskompetenz nicht adäquat entwickeln können. Mentalisierungsorientierte psychotherapeutische Interventionen in verschiedenen Settings (Familiengespräche, Elternarbeit, Einzelpsychotherapie) können transgenerationale Transmissionsprozesse bearbeiten und auflösen helfen. Drei Fallbeispiele illustrieren die theoretischen Überlegungen.
Schlüsselwörter: Mentalisieren, transgenerationale Weitergabe, Psychotraumatologie, Resilienz, Epigenetik.
Axel Ramberg / Tillmann F. Kreuzer
Zur mentalisierungsbasierten Haltung in der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie
Der Beitrag beschäftigt sich mit grundlegenden Begrifflichkeiten des Mentalisierungskonzeptes in Bezug zu einer psychodynamischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen. Weiter werden die mentalisierungsfördernde Haltung des*der Psychotherapeut*in, die Bezüge zum Spiel und in Erweiterung die Fähigkeit zum Spielen aufgeführt. Anhand einer Vignette aus einer psychodynamischen Therapie mit einem 12-jährigen Jungen wird die Entwicklung bzw. Verbesserung der Mentalisierungsfähigkeit in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen aufgezeigt.
Schlüsselwörter: Affektregulation, Beziehung, Selbstreflexion, Mentalisierung, Spiel, ADHS.
Noëlle Behringer / Nicole Gauler
»Das hat nichts mit Religion zu tun!«
Mentalisierungsbasierte Arbeit bei kulturbedingten Identitätsunsicherheiten in der Jugendlichenpsychotherapie
Mentalisieren ist die Fähigkeit eines Individuums, eigene und fremde Handlungen als sinnhaft und intentional begründet zu verstehen. Es stellt einen Resilienzfaktor bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz dar, weshalb es in der Psychotherapie mit Jugendlichen eine entscheidende Rolle spielt. Gerade bei migrations- und kulturbedingten Identitätsunsicherheiten bietet Mentalisieren die Chance, innerhalb der Therapie intra- und interpsychische Unsicherheiten zu verstehen und bestenfalls zu integrieren. Zugleich stellt die Berücksichtigung des therapeutischen Prozesses aus konflikt- und strukturfokussierter Perspektive einerseits und das Mentalisieren der kulturell geprägten Denk- und Fühlweise andererseits eine deutliche Herausforderung dar. Der Artikel beleuchtet die Chancen und Herausforderungen in der mentalisierungsfokussierten, tiefenpsychologisch fundierten Arbeit mit einer 16-jährigen Jugendlichen aus der türkischstämmigen Kultur, die an wiederkehrenden Identitätskrisen litt. Diese werden sowohl aus dem Blickpunkt des gegenwärtigen therapeutischen als auch biographischen Geschehens betrachtet.
Schlüsselwörter: Adoleszenz, Identität, Jugendlichenpsychotherapie, kulturelle Sensitivität, Mentalisieren.
Agnes Turner
»Max wird nicht abgeholt«
Über das Erleben eines Kindergartenkindes und das Mentalisieren der Pädagogin in der KiTa
In diesem Beitrag wird auf das emotionale Erleben eines Kindergartenkindes in einer belastenden Situation und auf die mentalisierende Haltung einer Pädagogin in der KiTa eingegangen. Im Rahmen einer psychodynamisch-orientierten Beratung in der Pädagog*innenausbildung wurde die Arbeitssituation nach dem Tavistock-Modell und der Mentalisierungstheorie analysiert, um in weiterer Folge den pädagogischen Handlungsspielraum zu erweitern und die Mentalisierungsfähigkeit der Pädagogin zu stärken. Anhand einer Falldarstellung werden das Mentalisieren der Situation, das Erleben des Kindes und der Pädagogin erläutert und diskutiert. Die Relevanz des psychodynamischen Verstehens für die pädagogische Praxis wird dabei im Besonderen illustriert.
Schüsselwörter: Mentalisierung, Reflexion, psychodynamisch-orientierte Beratung, Work Discussion, Mentaliserungsfähigkeit.
Forum
Bernd Ahrbeck
Neue Aufgaben? Alte Aufgaben?
Überlegungen zur Zukunft der Psychoanalytischen Pädagogik
Der Beitrag folgt jenem Verständnis von Psychoanalyse und Pädagogik, das Wilfried Datler in »Heilen und Bilden« dargelegt hat. Zunächst wird der Frage nachgegangen, wie sich Erziehungs- und Bildungsziele psychoanalytisch begründen lassen und wie Erziehungsverhältnisse entsprechend fundiert werden können. Die Psychoanalytische Pädagogik muss sich auf den gesellschaftlichen Wandel einstellen, sich weiterentwickeln und erneuern. Genuine psychoanalytische Erkenntnisse dürfen dabei aber nicht geopfert werden. Damit gerät sie zwangsläufig in Widerspruch zu vielen zeitgeistgeprägten (pädagogischen) Entwicklungen. Die Zukunft der Psychoanalytischen Pädagogik wird sich daran erweisen, inwiefern es ihr gelingt, diese Aufgabe zu bewältigen.
Schlüsselwörter: Psychoanalytische Pädagogik, Erziehungsziele, Erziehungsverhältnisse, kultureller Wandel, Zeitgeist.