
Luzifer-Amor
Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse
Briefe von Anna Freud an Max Eitingon (1926–1928) Martin Grotjahn
Printausgabe – Heft 75, 38. Jg., 1/2025
Inhalt
Editorial
Schwerpunkt I:
Briefe von Anna Freud an Max Eitingon (1926–1928)
Herausgegeben von Ulrike May
Schwerpunkt II:
Martin Grotjahn
Regine Lockot
Die Kunst, das Schwere leicht zu machen.
Martin Grotjahns Biografie, gespiegelt in seinen unwiderstehlichen Cartoons
Rainer Herrn
Martin Grotjahns Berliner Zeit als Psychiater
Peter Loewenberg
Martin Luther Grotjahn (1904-1990). Persönliche Erinnerungen
Jochen Bonz
Reflections. Martin Grotjahn als alter, weiser Mann der »Group Analysis« (und sein Vater)
Aus der Forschung
Christfried Tögel
Über die Rolle des Tratschs in der Freud-Biografik
Reinhard Fatke
»Verhüllung« der Psychoanalyse als akademische Strategie.
Zur Dissertation des Psychoanalytikers Willi Hoffer (1922)
Hilmar Spiske
Der Indologe Ignaz Schoenberg (1860–1886) und seine Freundschaft mit Sigmund Freud.
Rezensionen und Anzeigen
Hirschmüller/Tögel/Fichtner/D´Angelo (Hrsg.)::Sigmund Freud. Notizbücher 1901–1936(Molnar)
Foulkes: Ausgewählte Schriften zu Psychoanalyse und Gruppenanalyse(Gorvin)
Weitere Neuerscheinungen und Neuauflagen
Herausgegeben von Ulrike May
Briefe von Anna Freud an Max Eitingon (1926–1928)
Aus dem Nachlass von Anna Freud wurden 41 Briefe und Telegramme an Max Eitingon ausgewählt, die aus der Zeit zwischen dem 29. August 1926 und dem 16. Februar 1928 stammen. Das ist der Zeitraum, in dem Anna Freud ihre erste größere Schrift, die Einführung in die Technik der Kinderanalyse (1927), plante, vortrug, niederschrieb, veröffentlichte und deren erste Rezeption in der psychoanalytic community erlebte. Entgegen der Erwartungen sieht man Anna Freud hier als eine Pionierin der analytischen Technik, die das Gebot der Neutralität und jenes der Abstinenz nicht einhielt, in vollem Bewusstsein der Tatsache, dass ihre Vorschläge zur Behandlung von Kindern »unanalytisch« genannt werden könnten. Es wird gezeigt, dass Freud, Eitingon und Ferenczi Anna Freuds neue Technik begrüßten, während Kollegen in London das »Unanalytische« an Anna Freuds Vorgehen kritisierten. Schließlich wird dargestellt, dass Anna schon ein Jahr später begann, Teile ihrer Technik aufzugeben, sich aber nun – wiederum in durchaus »rebellischer« Art und Weise – an der Arbeit an den Statuten zur Ausbildung zum Kinderanalytiker und zur psychoanalytischen Ausbildung von Pädagogen beteiligte. Nebenher werden Anna Freuds Beziehungen zu Lou Andreas-Salomé und Max Eitingon thematisiert. Beide unterstützten Anna, und beide Beziehungen gerieten über der Frage der Kinderanalyse in schwere Krisen.
Regine Lockot
Die Kunst, das Schwere leicht zu machen. Martin Grotjahns Biografie, gespiegelt in seinen unwiderstehlichen Cartoons
Martin Grotjahn (8.7.1904, Berlin–30.9.1990, Los Angeles), Spross einer bekannten Arztfamilie, kam von der Psychiatrie zur Ausbildung am Berliner psychoanalytischen Institut. Er teilte das Schicksal seiner »halbjüdischen« Frau Etelka. 1936 emigrierten sie mit ihrem kleinen Sohn in die USA, mit Stationen in Topeka, in der Menninger-Klinik, in Franz Alexanders Institut in Chicago, in verschiedenen militärischen Einrichtungen, bis sie in Los Angeles eine neue Heimat fanden und Martin Grotjahn zu den »Shrinks« von Hollywood gehörte. Ungelöste Konflikte aus seiner Lehranalyse mit Ernst Simmel, Kriegserfahrung und Generationskonflikte führten zu schweren menschlichen Enttäuschungen und der Spaltung der psychoanalytischen Gesellschaft in Los Angeles. In seinen Cartoons erschafft Grotjahn seinen eigenen humorvollen, kathartischen Phantasieraum als Transfer zwischen einer sehr verletzten inneren Welt und einer herausfordernden Außenwelt. Grotjahn spiegelt sich, analysiert sich, tröstet sich mit Witz, Humor und Selbstironie und erschafft seine Liebe zu Etelka, zeichnend, immer wieder neu. Deutungen der Phantasiefiguren Ferdinand der Bulle und Alice im Wunderland zeigen ihn als Flaneur zwischen Bewusstem und Unbewusstem.
Rainer Herrn
Martin Grotjahns Berliner Zeit als Psychiater
Angeregt durch die Vorlesung Franz Alexanders im Berliner Psychoanalytischen Institut 1925 begann Martin Grotjahn nach seinem Medizinstudium an Berliner psychiatrischen Einrichtungen zu arbeiten; zunächst (1929) als Volontär-Assistent an der Psychiatrischen und Nervenklinik der Charité bei Karl Bonhoeffer, danach (1930) als Hilfsarzt an der Heilund Pflegeanstalt Berlin-Buch unter Karl Birnbaum, sodann 1933 bis zu seiner Emigration 1936 als außerplanmäßiger Assistent wieder bei Bonhoeffer. Seine Psychiatrische Tätigkeit konzentrierte sich dort auf die Diagnostik. Daraus ging ein wissenschaftlicher Beitrag zur Verabschiedung eines reichseinheitlichen Diagnoseschemas in Gestalt des »Würzburger Schlüssels« hervor. Während dieser Tätigkeiten ließ sich Grotjahn zum Psychoanalytiker ausbilden, lehnte sodann die Schulpsychiatrie traditionellen Zuschnitts als unzureichend und unwissenschaftlich ab und sah in der Analyse – aufgrund ihres therapeutischen Potentials – seine Zukunft. Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Januar 1933, als zahlreiche linke und jüdische Mitarbeitende der Klinik entlassen wurden, bekam er die Stelle bei Bonhoeffer. Dort war er hauptsächlich mit Gutachten nach dem »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« befasst, bis er 1936 mit Frau und Kind in die USA emigrieren konnte.
Peter Loewenberg
Martin Luther Grotjahn (1904–1990). Persönliche Erinnerungen
Aus persönlichen Erinnerungen am gemeinsamen Psychoanalytischen Institut in Los Angeles sowie aus dem Institutsarchiv wird ein knappes Bild von Grotjahns dominanter Persönlichkeit und Wirkung erstellt und seine Bedeutung für die Spaltung der psychoanalytischen Gemeinschaft in Los Angeles 1950 hervorgehoben.
Jochen Bonz
Reflections. Martin Grotjahn als alter, weiser Mann der »Group Analysis« (und sein Vater)
Der Beitrag handelt von Kolumnen, die Martin Grotjahn in den Achtzigerjahren für Group Analysis verfasste. In ihrer Form verbanden diese einen kurzen, aphoristischen Text mit einer Karikatur, die häufig Grotjahn selbst zeigte. In inhaltlicher Hinsicht ging es um grundsätzliche Aspekte der Gruppenanalyse. Einige hiervon werden ausgeführt (die Relevanz eines authentischen Verhaltens durch die Gruppenleitung, das Wahrnehmen realer Geschehnisse als traumartig) und punktuell in Bezug auf Grotjahns Autobiografie kontextualisiert. Ein besonderer Stellenwert kommt dem Altern in den Kolumnen zu, begann Grotjahn sie doch, nachdem er seine therapeutische Praxis altersbedingt beendet hatte. Der große Einfluss, den Grotjahn in seiner Autobiografie seinem Vater zuschreibt, greift der Artikel im Zusammenhang mit den Schuldgefühlen auf, die Grotjahn sein gesamtes Arbeitsleben lang begleitet zu haben scheinen. Hier schlägt der Autor vor, diese im Zusammenhang mit einer indirekten Mitschuld des Vaters an den eugenischen Verbrechen im Nationalsozialismus zu begreifen. Martin Grotjahn selbst spart diese Problematik in seinen Kolumnen und in der Autobiografie komplett aus.
Christfried Tögel
Über die Rolle des Tratschs in der Freud-Biografik
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Bedeutung von Tratsch für die Freud-Biographik. Kurt R. Eissler – der erste Freud-Biograf, der Sigmund Freud nicht mehr persönlich gekannt hat – hat seine Gesprächspartner für die seit 1951 für die Sigmund Freud Archives durchgeführten Interviews immer wieder nachdrücklich auf die »Wichtigkeit« von Tratsch hingewiesen. Anhand von Beispielen wird illustriert, dass wenn man auch scheinbar absurden Behauptungen und Gerüchten nachgeht, das zu Nebenergebnissen führen kann, die Unerwartetes zu Tage fördern. Das erste Beispiel stammt aus einem von Kurt R. Eissler geführten Interview, das zweite und dritte betrifft »Tratsch«, dessen Absender Sigmund Freud selbst ist.
Reinhard Fatke
»Verhüllung« der Psychoanalyse als akademische Strategie. Zur Dissertation des Psychoanalytikers Willi Hoffer (1922)
Willi Hoffer (1897–1967), aus dem Umkreis von (zunächst) Siegfried Bernfeld und (später) Anna Freud stammend, hat die Entwicklung der Psychoanalyse maßgeblich mitbestimmt, wenn auch nicht so sehr mit seinen wissenschaftlichen Beiträgen, so doch als Präsident verschiedener psychoanalytischer Fachgesellschaften und als Herausgeber mehrerer wichtiger Periodika. Über seine wissenschaftlichen Anfänge ist jedoch kaum etwas bekannt. Dieser Beitrag zeichnet zunächst Hoffers frühe Begegnung mit der Psychoanalyse nach, skizziert sodann seine Studienzeit in den 1920er-Jahren an der Universität Wien und untersucht anschließend detailliert seine Dissertation von 1922. Dabei wird zum einen herausgearbeitet, wie Hoffer aus pädagogischer Sicht und nicht für therapeutische Zwecke als einer der Ersten das Kinderspiel psychoanalytisch begründet, und zum anderen – und das ist der Kern dieses Beitrags –, mit welchen Mitteln in einem akademischen Umfeld, das gegenüber der Psychoanalyse ablehnend eingestellt war, Hoffer seine psychoanalytische Begründung des Kinderspiels so »verhüllt«, dass sie nicht gleich erkennbar wird und eine kritisch-ablehnende Reaktion hervorruft. Eine Analyse des Dissertationsgutachtens bestätigt, dass Hoffers akademische Strategie aufgegangen ist. Eine Skizze seiner anschließenden beruflichen und wissenschaftlichen Tätigkeiten als psychoanalytischer Pädagoge bis zu seiner Emigration mit der Freud-Familie nach London beschließt den Beitrag.
Hilmar Spiske
Der Indologe Ignaz Schoenberg (1860–1886) und seine Freundschaft mit Sigmund Freud
Den früh verstorbenen Indologen Ignaz Schoenberg verband in den Jahren 1882 bis 1886 eine enge Freundschaft mit Sigmund Freud. Er war mit Minna Bernays verlobt, der jüngeren Schwester von Freuds Braut Martha. Schoenberg half Freud in einer schwierigen Situation im Verhältnis zu Martha, und Freud sprach in Belangen seines Freundes mit dessen Doktorvater Georg Bühler. Etwas über ein Jahr lang, bis Mitte Juli 1885, war Schoenberg Assistent von Monier-Williams in Oxford bei der Neubearbeitung des Sanskrit-English Dictionary. Schoenbergs letzte Lebensjahre, zugleich entscheidende Jahre in Freuds Karriere, waren überschattet von der zunehmenden Verschlechterung seiner körperlichen und psychischen Verfassung infolge einer Lungentuberkulose. Die Darstellung stützt sich hauptsächlich auf den Briefwechsel Freuds mit seiner Schwägerin in spe und seiner Braut.