Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Kinder- und Jugendlichen-Psychoanalyse und der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie
Zeit und Latenz
E-Journal (pdf)– Heft 162, 45. Jg., 2/2014
Inhalt
Vorwort
Beitrag 1
Vera King
Im Zwischenraum der Latenz
Bindung, Trennung und der Umgang mit Verlorenem in beschleunigten Zeiten des Aufwachsens
Beitrag 2
Julia Pestalozzi
Die Latenzzeit – das verlorene Paradies?
Beitrag 3
Frank Rosenberg
Soll das Trauma in der Latenz gehalten oder durchgearbeitet werden?
Beitrag 4
Gabriele Häußler
Am Puls der Zeit und des Latenten
Zur psychoanalytischen Behandlung von Säuglingen und Kleinkindern mit Schlafstörungen
Beitrag 5
Arne Burchartz
»Fünfzig Minuten sind doch keine Stunde«
Zeiterleben in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen
Forum
Annelies Arp-Trojan
»Meilensteine für die VAKJP« – ein persönlicher Rückblick auf 30 Jahre
Forum
Günther Molitor
Vergangenheit aus der Nähe betrachtet – sechzig Jahre VDP/VAKJP
Buchbesprechungen
Die Autorinnen und Autoren des Heftes
Ankündigungen
Im Zwischenraum der Latenz
Bindung, Trennung und der Umgang mit Verlorenem in beschleunigten Zeiten des Aufwachsens
Gibt es Hinweise auf gegenwärtige Wandlungen der Latenzphase? Welche Bedeutung haben soziale Zeitverhältnisse für die kindliche Entwicklung im Allgemeinen und die so genannte Latenzperiode im Besonderen? Im Beitrag werden Befunde zu veränderten gesellschaftlichen Bedingungen des Aufwachsens skizziert. Vor dem Hintergrund dieser Wandlungen werden psychische Gestaltungen von Bindung, Trennung und Verlusterfahrungen sowie des Umgangs mit An- oder Abwesenheit in der Latenzphase erörtert. Veränderungen der Latenz werden mit Blick auf psychosoziale Bedingungen für psychische Verarbeitung der individuellen, familialen und kulturellen Geschichte betrachtet.
Schlüsselwörter: Latenzphase, Wandel von Kindheit, gesellschaftliche Bedingungen des Aufwachsens, Beschleunigung, generative Voraussetzungen für psychischen und kulturellen Neubeginn.
Julia Pestalozzi
Die Latenzzeit – das verlorene Paradies?
Die Latenzperiode wird, wie schon ihr Name sagt, von außen meist als eine eher ruhige Zeit zwischen der ödipalen und der adoleszenten Krise angesehen. Dabei ist sie, wie im Folgenden zu zeigen versucht wird, die Zeit enormer Umwandlungen der Triebschicksale, des Verhältnisses von Ich und Über-Ich, des Narzissmus, des Ich-Ideals, der Identität; sie ist auch eine aktive Rüstungszeit für den Sturm der Pubertät. Diese Umwandlungen sind nicht weniger störungsanfällig als diejenigen in anderen Perioden des Lebens und verlangen entsprechende therapeutische Anpassungen. Die Autorin versucht, ausgehend von der Symptomatik dreier adoleszenter/erwachsener Patienten, in Rückblende empfindliche Stellen in der Latenzentwicklung zu beleuchten, deren Nichtbewältigung im Zusammenhang mit späteren Pathologien gesehen werden kann.
Schlüsselwörter: Entwicklung in der Kindheit (Latenzzeit), Über-Ich, Identifikation, Narzissmus, Autonomie, Ich-Identität.
Frank Rosenberg
Soll das Trauma in der Latenz gehalten oder durchgearbeitet werden?
Der Text beschreibt die Merkmale des in der Latenz gehaltenen Traumas während der analytischen Behandlung. Im ersten Teil des Beitrages werden die verschiedenen Dynamiken beleuchtet, die einer beiläufigen Erwähnung des Schocktraumas zu Beginn der Behandlung zugrunde liegen bzw. dieser im weiteren Therapieprozess folgen. Eine ausführlichere Erwähnung finden diesbezüglich die Implikationen dissoziativer Prozesse für traumaanaloge Übertragungsbereitschaften. Im zweiten Teil des Artikels werden Sequenzen aus der Behandlung einer adoleszenten Patientin hinsichtlich der Annäherung und Bearbeitung einer traumatischen Beziehungserfahrung wiedergegeben. Dabei wird ein Schwerpunkt auf die Besonderheiten und Technik der Rekonstruktion/Traumakonfrontation sowie Handhabung dissoziativer Dynamiken gelegt.
Schlüsselwörter: Trauma, Traumatherapie, Schocktrauma, Dissoziation, Latenz, Traumakonfrontation, traumaanaloge Übertragungen, Parallelisierung, Adoleszenz, Jugendlichenpsychotherapie, sexueller Missbrauch.
Gabriele Häußler
Am Puls der Zeit und des Latenten
Zur psychoanalytischen Behandlung von Säuglingen und Kleinkindern mit Schlafstörungen
Ausgehend von verschiedenen Überlegungen, die einen Zusammenhang von Zeit und Schlaf nahelegen, wird im einführenden Teil die gliedernde und rhythmisierende Funktion von Zwischenzeit, Pause und Schlaf erläutert. Dass und weshalb das Schlafenmüssen bei Säuglingen und Kleinkindern oftmals Eltern und Kind in große Nöte bringt, wird anschließend aufgezeigt. Dabei werden einerseits Erkenntnisse zum kindlichen Zeiterleben herangezogen, andererseits wird auf die imaginären Interaktionen eingegangen.
Anhand von Fallvignetten aus der psychoanalytischen Säuglings-Kleinkind-Eltern-Psychotherapie (SKEPT) wird dann aufgezeigt, wie sehr das Latente in der Mutter oder im Vater durch den Schlaf des Kindes wiederbelebt wird und Verlust- und Trennungskonflikte der Eltern durch das Trennungsthema des Kindes so lebendig werden, dass plötzlich Momente aus der Vergangenheit der Eltern reinszeniert werden. Es wird dargestellt, wie in der psychoanalytischen Säuglings-Kleinkind-Eltern-Psychotherapie mit dem Latenten in der Mutter oder im Vater therapeutisch umzugehen ist, so dass dieses Latente aufgelöst bzw. erlöst werden kann.
Schließlich wird auch ein Blick auf die Wirkfaktoren der psychoanalytischen Säuglings-Kleinkind-Eltern-Psychotherapie geworfen. Abschließend wird postuliert, dass die in der psychoanalytischen Säuglings-Kleinkind-Eltern-Psychotherapie entstehende Beziehungszeit die Gegenwart der Eltern-Kind-Interaktion und die Vergangenheit der Eltern zu verwandeln, Wunden zu heilen und zu einem neuen Umgang mit der Zwischenzeit, der Pause, dem Schlafen zu führen vermag.
Schlüsselwörter: Containment, imaginäre Interaktion, latent, Projektion, Rêverie, Säuglings-Kleinkind-Eltern-Psychotherapie, Schlaf, Trennung, Zeit, Zeiterleben, Wiederbegegnung, Wirkfaktoren.
Arne Burchartz
»Fünfzig Minuten sind doch keine Stunde«
Zeiterleben in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen
Ausgehend von einigen Beobachtungen in der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen und grundsätzlichen Überlegungen zum Begriff der Zeit untersucht der Autor heutige Formen des Zeiterlebens in der modernen Gesellschaft westlicher Prägung. Vor diesem Hintergrund stellt er die Entstehung des Zeitbegriffs beim Kind in den drei Dimensionen der zyklischen Zeit, der linearen Zeit und des Kairos dar. Grundlegende Überlegungen zum Zeiterleben von Kindern und Jugendlichen in der analytischen und der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie werden entfaltet, der Beitrag schließt mit einigen Hinweisen auf die Besonderheiten der Zeitdimension in der Psychotherapie mit Jugendlichen.
Schlüsselwörter: Entwicklungspsychologie, psychische Gesundheit, psychotherapeutische Prozesse, Zeitwahrnehmung.
Günther Molitor
Vergangenheit aus der Nähe betrachtet – sechzig Jahre VDP/VAKJP
Vor sechzig Jahren wurde am 20. Juni 1953 die Vereinigung Deutscher Psychagogen (VDP) in Stuttgart gegründet. Das Jubiläum bietet Anlass nachzuzeichnen, wie sich aus den Anfängen der Psychoanalyse von Kindern zu Beginn des letzten Jahrhunderts die Entwicklung zum Beruf des approbierten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten vollzogen hat. Dabei werden die Einwirkungen der Psychoanalyse auf das sozialpädagogische Feld in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und die Entwicklung eines Psychagogen-Konzeptes und Aufbau einer Erziehungshilfe in der NS-Zeit dargestellt. Die geistigen, sozialen und politischen Strömungen der Nachkriegsjahre prägten das neue Berufsbild Psychagoge. Die Entwicklungsetappen der Profession vom Psychagogen zum analytischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten als anerkanntem Heilberuf werden im Kontext berufs- und gesundheitspolitischer Kontroversen erörtert.
Schlüsselwörter: Kinderpsychotherapie, Erziehungsberatungsstellen, Psychotherapeut, Psychotherapieausbildung, Tiefenpsychologie, Psychoanalytische Therapie.