Henry Abramovitch
Kulturübergreifendes Arbeiten – Arbeiten mit der Kultur
Klinische Fragen zur Behandlung von Menschen aus anderen Kulturen
Vorliegender Beitrag präsentiert einen jungianischen Zugang zu kulturübergreifendem Arbeiten. Diese Arbeit kann zu gegenseitigen Missverständnissen führen, die destruktiv oder konstruktiv im therapeutischen Prozess genutzt werden können. Transkulturelle Arbeit erlegt dem Therapeuten eine zusätzliche emotionale und konzeptuelle Bürde auf, da er das Zusammenspiel der personellen und kollektiven bzw. kulturellen Komplexe der Patienten verstehen muss. Um effektiv zu arbeiten, muss der Therapeut ein wachsames kulturelles Selbstgewahrsein entwickeln sowie ein Verständnis für kulturelle Übertragung und Gegenübertragung. Darüber hinaus werden Themen wie die Bedeutung des Schweigens, affektives Gebaren, Höfl ichkeit, Authentizität sowie die Gefahr des Rückfalls in Kollektivismus berührt.
Schlüsselwörter: transkulturelle Analyse, kultureller Komplex, personaler Komplex, kulturelles Selbstgewahrsein, kulturelle Übertragung und Gegenübertragung.
Isabelle Meier
Uneingeladene Geister im Praxisraum
Über den Einfluss der balkanischen Kultur in Jung’schen Therapien
Die Kultur der Patient/innen hat Auswirkungen auf unsere psychotherapeutische Arbeit. Im vorliegenden Beitrag wird über das Thema der interkulturellen Psychotherapie an Beispiel der muslimischen Balkankulturen nachgedacht. Hilfreich dafür sind die Konzepte der individualistischen versus kollektivistischen Kultur und der Begriff des kulturellen Unbewussten. Auch wird die Frage des Einbezuges von traditionellen Heilern diskutiert.
Schlüsselwörter: interkulturelle Psychotherapie, Balkan, kollektivistische versus individualistische Kultur, kulturelles Unbewusstes, traditionelle Heiler
Irene Berkenbusch-Erbe
Kulturelle Komplexe im östlichen Mitteleuropa
Der Beitrag untersucht die psychoanalytische Arbeit zwischen Analysanden und Analytikern in Polen und Litauen. Diese Arbeit in Ländern, die unter Invasion und Zerstörung durch die deutsche Wehrmacht und unter sowjetischer Besatzung und Zugehörigkeit zum Ostblock gelitten haben, erfordert eine geistig-seelische Horizonterweiterung. Die therapeutische Arbeit muss die Wahrnehmung kultureller Komplexe auf beiden Seiten miteinschließen, was eine besondere Sensibilität für Übertragung und Gegenübertragung benötigt. Es geht dabei um die Fähigkeit des Analytikers, sich eventuell vorhandener Vorurteile und Ängste bewusst zu sein, die unbewusst eine Abwehrstrategie bewirken können, ebenso der transgenerational wirkenden Traumatisierungen, die sich in kulturellen Komplexen äußern können. Es zeigen sich dabei Unterschiede in der Komplexstruktur in Litauen und Polen.
Schlüsselwörter: interkulturelle Therapie, kulturelle Komplexe, Traumarbeit, Polen, Litauen.
Adel Yusuf
Erziehung in der arabischen und deutschen Kultur unter kulturvergleichender Perspektive
Das Ziel elterlicher und institutioneller Erziehung in einer kollektivistischen, Abhängigkeit fördernden Kultur – wie die arabische – unterscheidet sich sehr von dem in einer individualistischen, Unabhängigkeit fördernden Kultur wie die deutsche. Solche Unterschiede manifestieren sich auch in den Zeichnungen menschlicher Figuren bei Kindern aus beiden Kulturen. Was in einer Kultur als »gesunde Persönlichkeitsstruktur« gilt, spielt im therapeutischen Bereich eine wichtige Rolle, die vom Therapeuten/ von der Therapeutin berücksichtigt und akzeptiert werden sollte. Eine Veränderung bzw. eine Anpassung an die neue Kultur stellt einen mühsamen Prozess dar, der für alle Seiten von Vorteil sein kann.
Schlüsselwörter: Kinderzeichnungen, kulturspezifische Unterschiede, kollektivistisch, individualistisch, Werte, Familie, Arbeit mit Migranten.
Inga Oberzaucher-Tölke
Wer ist hier »fremd«?
Migration und Fremdheit in Psychoanalyse und Psychotherapie
Psychotherapie in der Migrationsgesellschaft wird in Fachdiskursen immer wieder unter Bezug auf »Fremdheit« behandelt. Dieser Beitrag zeichnet zunächst einige psychoanalytische Diskurslinien nach: Fremdheit in der Entwicklungspsychologie, bei Freud sowie in Analytischer Psychologie und Ethnopsychoanalyse. Im zweiten Teil werden postkoloniale und rassismuskritische Perspektiven vorgestellt, die Fremdheit als soziale Konstruktion vor dem Hintergrund historischer und aktueller Machtverhältnisse verstehen. Schließlich wird beides zueinander in Beziehung gesetzt und gefragt, was sich daraus für eine Psychotherapie in der (Post-)Migrationsgesellschaft ergibt. Im Fokus steht dabei das »Eigene«, oft allzu Vertraute, nämlich »Weiß-Sein« und »Deutsch-Sein« in Psychoanalyse und Psychotherapie.
Schlüsselwörter: Fremdheit, Migration, Psychoanalyse, Rassismus, Postkolonialismus
Silvan Kufner
Der leere Archetypus
Versuch einer Bestimmung des Jung’schen Archetypenbegriffs unter besonderer Berücksichtigung der Epistemologie Kants
In diesem Text wird die Hypothese vertreten, dass Kants transzendentalphilosophische Konzepte eine wichtige Einflussgröße für Jungs Archetypenlehre darstellen. Das Verständnis der Grundannahmen der Kritik der reinen Vernunft eröffnet einen zuverlässigen Zugang zur Archetypenlehre. Jung stand vor allem in der Kritik, dass die Definition seines Archetypus-Begriffs so weit gefasst sei, dass letztlich alles darunter subsumiert werden könne. Durch ein dreidimensionales Beschreibungssystem des Archetypus, in dessen Zentrum die transzendentalphilosophische Lesart steht, wird dieser Vorwurf abgemildert.
Schlüsselwörter: Kritik der reinen Vernunft, Transzendentalphilosophie, Archetypus, Jung, Kant.