Analytische Psychologie
Zeitschrift für Psychotherapie und Psychoanalyse
Gegensätze – Gegenteile
Opposites – oppositions
Inhalt
Elisabeth Schörry-Volk
Editorial
Beitrag 1
Ernst Peter Fischer
Die aufschimmernde Nachtseite der Wissenschaft
Träume und Offenbarungen in der Geschichte naturwissenschaftlicher Entdeckungen
Beitrag 2
Christian Maier
Phantasiefusion oder Gedankenübertragung?
Zur Intersubjektivität im analytischen Prozess
Beitrag 3
Stefan Wolf
»Routine ist ein Irrweg« (C. G. Jung)
Über Ähnlichkeiten zwischen künstlerisch-kreativer und psychoanalytischer Arbeit
Beitrag 4
Judith Noske
»Und weil ich frage, wer ich bin...«
Zwischen Gegensätzen und Verhältnissen: Überlegungen zur Identitätsbildung strukturell gestörter Jugendlicher
Beitrag 5
Denkbild
Angelica Löwe
Totenschädel
Überlegungen zu Symbol und Allegorie
Beitrag 6
Filmbesprechung
Volker Münch
The Square
Beitrag 7
Michael Péus
Der Tod »tritt ein«
Transformation in Todesnähe
Beitrag 8
Mario Schlegel
Eine neue Sicht auf die Biologie der Archetypen
Menschenbild und Wissenschaftlichkeit der Archetypentheorie
Beitrag 9
Eckhard Frick sj
Zwischen äußerer und innerer Bildgebung
Rezeption der Neurowissenschaften in der Psychotherapie
Beitrag 10
Volker Münch
Polyphonie im Praxiszimmer
Überlegungen zur Nähe von Musikalischem und Psychotherapeutischem
Jörg Rasche
Nachruf auf Tom Kirsch (1936–2017)
Förderpreis der Zeitschrift Analytische Psychologie
Buchbesprechungen
Vorschau
Richtlinien für Autorinnen und Autoren
Phantasiefusion oder Gedankenübertragung?
Zur Intersubjektivität im analytischen Prozess
Anhand von Fallvignetten befasst sich diese Arbeit mit einem beunruhigenden Phänomen, das sich durch die Vorstellung eines Psychoanalytikers auszeichnet, das Unbewusste seines Patienten hätte geheime seelische Vorgänge des Analytikers wahrgenommen. Der Autor diskutiert hinsichtlich der Genese dieses Phänomens die psychischen Vorgänge Phantasiefusion und Gedankenausbreitung. Auch wenn letztlich nicht entschieden werden kann, welches dieser Konzepte die zugrundeliegenden seelischen Vorgänge stimmiger abbildet, weisen doch beide Modelle auf die intersubjektive Generierung des analytischen Prozesses hin.
Schlüsselwörter: Phantasiefusion, Gedankenausbreitung, Synchronizität, Intersubjektivität, analytischer Prozess
Stefan Wolf
»Routine ist ein Irrweg« (C. G. Jung)
Über Ähnlichkeiten zwischen künstlerisch-kreativer und psychoanalytischer Arbeit
Im künstlerisch-kreativen und im analytischen Prozess vollziehen sich gleichartige Transformationsvorgänge. Um die Verwandtschaft beider Prozesse deutlich zu machen, werden am Beispiel der Arbeitsweise von Alberto Giacometti drei Ich-Verfassungen beschrieben, die der Künstler im Schaffensprozess durchläuft. Im Anschluss wird mit Bezug auf jungianische Konzepte geschildert, wie sich diese Verfassungen im bewussten Erleben des Analytikers in der analytischen Situation zeigen. Der Vergleich der beiden Arbeitsvorgänge liefert Ansatzpunkte für einen reflektierten Umgang mit den Versuchungen und Versagungen, die mit dem Ringen um eine analytische Haltung einhergehen.
Schlüsselwörter: Kreativität, psychoanalytischer Prozess, analytische Haltung, A. Giacometti
Judith Noske
»Und weil ich frage, wer ich bin...«
Zwischen Gegensätzen und Verhältnissen: Überlegungen zur Identitätsbildung strukturell gestörter Jugendlicher
Das Ringen um Identität kann bei Jugendlichen mit frühen Störungen besonders dramatische Formen annehmen, was sich im therapeutischen Prozess mannigfaltig widerspiegelt. Der junge Mensch ist vor die Herausforderung gestellt, seine Identität innerhalb von Gegensätzen zu begreifen, ihr als Zustimmung zum eigenen Leben einen Wert zu geben. Wenn diese komplexe »Identitätsarbeit« nicht bewältigt werden kann, führt dies zu unerträglichen Zuständen. Dabei auftretende Symptome verstehe ich in meiner Arbeit als Brücke sowie als kreative seelische Schöpfung. Vier Fallvignetten veranschaulichen diesen herausfordernden Prozess auf der Basis von vier verschiedenen Fragestellungen.
Schlüsselwörter: Identität, strukturelle Störungen, Gegensätze, Regression, Kreativität, intersubjektiver Raum
Michael Péus
Der Tod »tritt ein«
Transformation in Todesnähe
Die Beziehung zum Tode ist für den westlichen Menschen verstellt durch die Paradigmen philosophischer Metaphysik, christlicher Glaubensüberzeugung und Naturwissenschaft, welche trotz der Gegensätzlichkeit ihrer Grundpositionen in der Negierung, Verharmlosung und Bekämpfung des Todes konvergieren. Durch die kritische Lektüre vor allem der überraschend affinen Aussagen C. G. Jungs und Jean Baudrillards exploriert der vorliegende Text die paradoxe Pathologie westlicher »Kränkung« des Todes und entwirft eine ihn in seiner symbolischen und transformatorischen Kraft zurückgewinnende Sicht.
Schlüsselwörter: Tod, Kulturpsychologie, Spiritual Care, Symbol, Individuation
Mario Schlegel
Eine neue Sicht auf die Biologie der Archetypen
Menschenbild und Wissenschaftlichkeit der Archetypentheorie
Die biologische Dimension des Archetypus lässt sich erst heute lückenlos rekonstruieren, weil die ethologische Forschung bis vor kurzem noch keine detaillierte Kenntnis über die entsprechenden Verhaltensmuster aus dem Übergangsfeld vom Menschenaffen zum Menschen besaß. Die Linie, die die Rekonstruktion ermöglicht, läuft über die Evolution der kognitiven und intersubjektiven Fähigkeiten der Säugetiere bis hin zum Menschen und betrifft vor allem die besondere Form seiner sozialen Kognition. Diese eröffnet eine qualitativ neue Dimension: die Welt des Geistigen und der Kultur, die den Menschen vom Tier unterscheidet. Die naturwissenschaftlich belastbare Begründung der Archetypentheorie ist für die künftige Entwicklung der theoretischen Grundlagen der Psychotherapie essentiell.
Schlüsselwörter: Archetypentheorie, Ethologie, soziale Kognition, Mentalisieren, Synchronizität, Wissenschaftstheorie
Eckhard Frick sj
Zwischen äußerer und innerer Bildgebung
Rezeption der Neurowissenschaften in der Psychotherapie
Die funktionelle Kernspintomografie und andere Methoden der zerebralen Bildgebung faszinieren viele Psychotherapeuten, weil sie in Dritte-Person-Perspektive die subjektive Erste-Person-Perspektive des Patienten und die Zweite-Person-Perspektive der intersubjektiven psychotherapeutischen Begegnung zu objektivieren scheinen. In der evidenzbasierten Medizin bieten sich die Bildgebungstechniken als Wirksamkeitsnachweise störungsspezifischer psychotherapeutischer Interventionen und als Monitoring des Behandlungsfortschritts im Einzelfall an. Für Patient und Behandler entsteht so die Möglichkeit einer Rückkopplung zwischen der psychotherapeutischen Arbeit und der Neuroplastizität. Welche Bedeutung gewinnen die äußeren, neuroradiologisch erzeugten Bilder vom Patienten für die inneren Bilder des Patienten und seines Behandlers?
Schlüsselwörter: Bildgebung, Monitoring, Darstellbarkeit, Alchemie, Psychotherapie
Volker Münch
Polyphonie im Praxiszimmer
Überlegungen zur Nähe von Musikalischem und Psychotherapeutischem
Es soll gezeigt werden, dass eine musikalisch inspirierte Sichtweise des therapeutischen Geschehens einen Beitrag zum Verständnis der komplexen Interaktions- und Wandlungsprozesse liefern kann. Dies soll aus verschiedenen Blickwinkeln, bezugnehmend auf Arbeiten zum intrauterinen Erleben, zur Säuglingsforschung, mit Leikerts »kinetischer Semantik« und mithilfe von Scharffs Beiträgen zur Musikalität der Therapeutenäußerungen veranschaulicht werden. Im Weiteren werden die möglichen Verknüpfungen dieser Sichtweisen mit dem Konzept der archetypischen Psychologie in Beziehung gesetzt. Als symbolisches Bild wird auf die Annahme einer inneren Gruppalität des Einzelnen, analog zur Komplexität im Zusammenspiel in einem Orchester, verwiesen.
Schlüsselwörter: Musik, archetypische Psychologie, frühe Entwicklung, »kinetische Semantik«, innere Gruppalität