
Analytische Psychologie
Zeitschrift für Psychotherapie und Psychoanalyse
Jungs Gottesbild und das Böse
Evil and Jung’s Notion of God
Inhalt
Vorwort
Sylvia Runkel
Editorial
Beitrag 1
Roman Lesmeister
Was bedeutet »Integration des Bösen«?
Versuche an einem schwierigen Konzept
Navid Kermani
»Vergottung der Seele«?
Von Ibn Arabi zu C. G. Jung
Beitrag 2
Andreas Klein
Der Tod Gottes und Das Rote Buch Carl Gustav Jungs
Denkbild
Dieter Treu
Die Harpyie (im Tierpark Berlin)
Beitrag 3
Christian Roesler
Der Schatten Jungs und seine Auswirkungen auf die analytische Psychologie heute
Beitrag 4
Paul Bishop
Teufelszeug?
Über den Umgang mit der Faszination des Bösen in Jungs Rotem Buch
Beitrag 5
Simonetta Sanna
Jung und der Antisemitismus
Beitrag 6
Bernd Niles
Spirituelle Dimension und Stufen des Selbst in einer Reihe von Träumen
Erkundungen im Spannungsfeld zwischen Christentum und Zen-Buddhismus
Aus dem Archiv der Analytischen Psychologie
James Hillman
Das Kind verlassen – Abandoning the Child (1971)
Teil 2
Kommentar
Constanze Krauß, Dieter Treu
Das Schisma von Bild und Beziehung
Gedanken, Kontexte und Materialien zu J. Hillmans
Das Kind verlassen (Abandoning the Child, 1971/2020)
Diskussionsforum
Isabelle Meier
Manualisierung – ein Reizwort
Werkstattbericht
Antje Barber, Günter Langwieler
»Mythos bei Neumann« (Juni 2018) Teil 1
Erich Neumanns erste Arbeiten und Korrespondenzen zum kollektiven Unbewussten und zur Mystik des Jüdischen –
Auszüge aus der gemeinsamen Seminararbeit am IfP Berlin
Buchbesprechungen
Vorschau
Förderpreis der Zeitschrift Analytische Psychologie
Richtlinien für Autorinnen und Autoren
Call for Papers
Was bedeutet »Integration des Bösen«?
Versuche an einem schwierigen Konzept
Zusammenfassung: Die Arbeit unterzieht das in der Analytischen Psychologie verbreitete Konzept der »Integration des Bösen« einer näheren Bestimmung. Weit entfernt davon, einer häufig unterstellten Eindeutigkeit zu genügen, lässt dieses Konzept mehrere Deutungen zu. Diese werden nach einleitenden Bemerkungen zum allgemeinen Begriff des Bösen und der in der nationalsozialistischen Ideologie exemplarisch hervorgetretenen Erscheinungsweise des Bösen als eines pervertierten Guten auf ihre psychologische Struktur hin untersucht.
1) Die als Gegensatzvereinigung im Selbst verstandene Form der Integration wird unter Hervorhebung der regulativen Funktion der Liebe mit dem Kleinianischen Konzept der depressiven Position verbunden.
2) Die von Jung im Vorgriff auf postmodernistisches Denken thematisierte Ambivalenz beziehungsweise Ambiguität von Gut und Böse lässt sich als Ausdrucksform von Integration verstehen, der eine einheitliche primordiale Objekterfahrung mit numinoser Anziehungskraft zugrunde liegt.
3) Am literarischen Stoff des Romans »Tyll« von Daniel Kehlmann wird Amoralität als »inverse« Spielart moralischer Integration ausgewiesen. Abschließend parallelisiert die Arbeit die Polarität von Gut und Böse mit der von Liebe und Selbsterhaltung. Vor diesem Hintergrund und mit Bezugnahme auf Emmanuel Lévinas, Jacques Derrida und Navid Kermani werden aktuelle gesellschaftspolitische und ethische Positionsbestimmungen diskutiert.
Schlüsselwörter: Gegensatzvereinigung, depressive Position, Ambiguität, Amoralität, Selbsterhaltung, Liebe
Andreas Klein
Der Tod Gottes und Das Rote Buch Carl Gustav Jungs
Zusammenfassung: Das Denken Friedrich Nietzsches stellte für Carl Gustav Jung in verschiedenen Phasen seines Lebens einen prägenden Einfluss dar. In den Aufzeichnungen von Jungs Rotem Buch wird dieser Einfluss besonders sichtbar und deutlich. Jung setzt sich darin unter anderem mit wesentlichen Grundpfeilern des nietzscheanischen Denkens auseinander, allen voran der Verkündung vom Tode Gottes. In dieser Auseinandersetzung gelangt Jung nun zu eigenen Antworten auf die Frage zum Gottesverhältnis des Menschen in der Moderne und setzt sich dadurch von Nietzsches Denken ab.
Schlüsselwörter: Friedrich Nietzsche, Das Rote Buch, Tod Gottes, Jungs Krisenjahre.
Christian Roesler
Der Schatten Jungs und seine Auswirkungen auf die Analytische Psychologie heute
Zusammenfassung: Der Artikel fokussiert die Schattenseiten Carl Gustav Jungs und deren Auswirkungen auf die Theoriebildung bei Jung selbst und bis heute. Schon seit längerem werden die antisemitischen Äußerungen problematisiert, die Jung in den Dreißiger Jahren gemacht hat, und in neuester Zeit zunehmend auch rassistische Standpunkte. Es soll beleuchtet werden, dass sich diese Äußerungen teilweise aus Jungs eigener Theorieentwicklung ergeben, insbesondere aus seinen biologistischen Konzeptionen zum Archetyp. Ein weiterer Schattenaspekt Jungs betrifft seine Naivität in politischen Zusammenhängen sowie seine mangelnde Bezugnahme auf soziologische und gesellschaftspolitische Theorien seiner Zeit, die zu einer abwertenden Haltung gegenüber Gruppenphänomenen geführt hat. Die Untersuchung der Schattenaspekte mündet im Vorschlag, das theoretische Werk Jungs als eine wissenschaftliche Theorie wie andere auch zu betrachten und eine kritische Lektüre zu betreiben sowie sich mit den Idealisierungstendenzen, die es gegenüber der Person Jungs gibt, auseinanderzusetzen und Jung als eine historischen Persönlichkeit der Zeitgeschichte zu sehen, wie
es uns die Freudianischen Kollegen mit Bezug auf ihren Schulengründer vorgemacht haben.
Schlüsselwörter: Schatten, Theorie, Kritik, Idealisierung, Rassismus
Paul Bishop
Teufelszeug?
Über den Umgang mit der Faszination des Bösen in Jungs Rotem Buch
Zusammenfassung: Im Kapitel »Die Wiederfindung der Seele« mahnt Jung: »Meine Freunde, es ist weise, die Seele zu nähren, sonst züchtet ihr Drachen und Teufel in eurem Herzen« (Jung, 2009, S. 232). In »Seele & Gott« gesteht er: »Jeder Schritt näher zu meiner Seele erregte das Hohngelächter meiner Teufel, jener feigen Ohrenbläser und Giftmischer« (a. a . O., S. 234). Und in »Über den Dienst der Seele« gibt er zu bedenken: »Der Christ überwindet wohl die Versuchung des Teufels, nicht aber die Versuchung Gottes zum Guten und Vernünftigen« (a. a . O., S. 235). Dieser Beitrag geht der Frage nach, wie Jung mit den Gestalten des Bösen im Roten Buch umgeht: Was ist ihre Funktion? Und was zum Teufel bedeutet es, wenn Jung erklärt: »Das allerheiligste Leben ist grotesk-tragisch« (a. a . O., S. 285)? Dabei wird auf eine erstaunliche Kontinuität in Jungs Werken hingewiesen, die sich vom Roten Buch hin zum Eranos-Vortrag über das Wandlungssymbol in der Messe und darüber hinaus zu Antwort auf Hiob erstreckt sowie auf eine Problematik, die uns alle immer noch beschäftigt: den Umgang mit dem eigenen Schatten.
Schlüsselwörter: Das Böse, Katharsis, Rotes Buch, Satan, Schatten, Teufel
Simonetta Sanna
Jung und der Antisemitismus
Zusammenfassung: Ausgehend von dem von A. Maidenbaum und St. A. Martin herausgegebenen Sammelband Lingering Shadow: Jungians, Freudians, and Anti-Semitism, der das Bestehen einiger strittiger Punkte in Bezug auf C. G. Jungs Leben und Werk beleuchtet, wird sein Aufsatz von 1946, »Nach der Katastrophe«, einer erneuten Lektüre unterzogen. Sie gelangt zu dem Schluss, dass Jung darin nicht nur seine Irrtümer und Falschdeutung im Stadium »initialer Verführung« widerruft, sondern dass er ein rückhaltloses öffentliches Dementi früherer Zusammenhänge liefert. Jungs Besorgnis ist die eines Arztes, der um ein »nach dem Heilmittel suchende[s] Verstehen« bemüht ist. Sein Befund der schmerzhaften Untersuchung zur Verflochtenheit äußerlicher und innerlicher, individueller und kollektiver Abhängigkeiten ist noch heute zeitgemäß und steht zudem in Beziehung mit weitgefächerten Schwerpunktsetzungen anderer Wissensbereiche.
Schlüsselwörter: C.G. Jung und der Antisemitismus, Aktualität von »Nach der Katastrophe« (1946); Jungs Schuldbekenntnis, C.G. Jung und der Nationalsozialismus.
Bernd Niles
Spirituelle Dimension und Stufen des Selbst in einer Reihe von Träumen
Erkundungen im Spannungsfeld zwischen Christentum und Zen-Buddhismus
Zusammenfassung: Bei der Interpretation von Träumen mit spiritueller Thematik bestätigen manche Träume die These Jungs, dass man die Erfahrung der Symbole des Selbst nicht von der imago Dei unterscheiden kann. Treten aber in einem Traum mehrere Symbole des Selbst auf, können oft Stufen des Selbst unterschieden werden. Hierbei beziehen sich die Symbole tiefer Stufen auf eingeschränkte Formen der Einheit und Ganzheit, während die Symbole höherer Stufen die spirituelle Dimension des Selbst direkter ansprechen. Nicht zufällig treten hier Formen der Symbolik auf, die in Parallele zur Sprache der Mystik gesehen werden können. Entsprechend der dominierenden Lebensthematik des Träumenden zur damaligen Zeit – die Integration von christlicher Spiritualität und Zen –, zeigt sich in manchen Träumen auch eine Vermischung von spezifisch westlicher und östlicher Symbolik.
Schlüsselwörter: C.G. Jung, Stufen des Selbst, Selbstsymbole, Mystik, Zen.