
Analytische Psychologie
Zeitschrift für Psychotherapie und Psychoanalyse
Unheimliche Wirklichkeiten
Uncanny Realities
Inhalt
Vorwort
Jens Preil
Editorial
Sharon R. Green
Der Tod als das Andere und Ausbrüche des Unheimlichen
Ein klinisches Fallbeispiel nach Jean Laplanche
Daniela Eulert-Fuchs
Der Andere zwischen Angst und Begehren
Die Gegenübertragungsfantasie als Brücke zwischen mir und dem Anderen
Isabelle Meier
Das unwirkliche Kind
Zur Ausbreitung dissoziativer Prozesse in einer analytischen Behandlung
Judtith Noske
Die Bedeutung des Augenblicks in therapeutischen Prozessen von Kindern und Jugendlichen
Denkbild
Jens Preil
Letzte Dinge
Spielraum
Eva Pattis
Psychiatrie oder lebenslänglich?
Zum Elternmord
Eckhard Frick
Wie kommen Psyche und Soma zusammen?
Vom psychosomatischen Problem zum Symbol
Sylvia Runkel
Psychosomatik – die Beziehung zwischen Psyche und Materie
Ralf T. Vogel, Juliane Kärcher, Evi Bartel
Kurzzeittherapie in der Analytischen Psychologie
Werkstattbericht
Claus Braun
Die traumzentrierte Gruppe
Methodik einer jungianischen Gruppen-Einzel-Kombipsychotherapie
Filmbesprechung
Volker Münch
»Nomadland«
Tagungsbericht
Isabelle Meier
8. Forschungstag von infap3: »Stand der Archetypendebatte«
Buchbesprechungen
Förderpreis der Zeitschrift Analytische Psychologie
Vorschau
Richtlinien für Autorinnen und Autoren
Der Tod als das Andere und Ausbrüche des Unheimlichen
Ein klinisches Fallbeispiel nach Jean Laplanche
Zusammenfassung: Dieser Text diskutiert die Analyse als Praxis einer Ethik der Verweigerung sowie als Praxis der Anti-Hermeneutik in Anlehnung an die Arbeit des französischen Philosophen und Psychoanalytikers Jean Laplanche. Laplanche zufolge erweckt die analytische Situation die anthropologische Grundsituation zu neuem Leben, in der sich die menschliche Subjektivität in Gegenwart einer rätselhaften Andersheit entwickelt. Die Analytikerin fungiert als die »Hüterin des Rätsels« und bietet dabei dem Analysanden einen psychischen Hohlraum, also einen Raum für das Rückgängigmachen der Übersetzungen und die Neuübersetzung rätselhafter Botschaften, die laut Laplanche durch zwei verschiedene Arten von Übertragung zum Ausdruck kommen: »transfert en plein« (die gefüllte Übertragung) und »transfert en creux« (die hohlförmige Übertragung). Eine klinische Vignette, in der der Analysand eine erschütternde Begegnung mit der rätselhaftesten Andersheit überhaupt durchmacht – dem Tod –, dient zur Veranschaulichung dieser psychischen Vorgänge.
Schlüsselwörter: Laplanche, dezentriertes Subjekt, Ethik, Rätsel, Übertragung, Tod, das Unheimliche
Daniela Eulert-Fuchs
Der Andere zwischen Angst und Begehren
Die Gegenübertragungsfantasie als Brücke zwischen mir und dem Anderen
Zusammenfassung: Ausschnitte analytischer Behandlungen, die zur Erfahrung von Nicht-Repräsentation in der Analytikerin führen, sollen zeigen, wie analytisches Verstehen – noch ohne explizit zu werden – intersubjektiv wirksam wird. Es wird der Gedanke verfolgt, dass ein der Psyche inhärentes Prinzip, das die Autorin archetypische Hoffnung nennt, wirksam wird. Die Gegenübertragungsfantasie wird dabei als Brücke gesehen: Sie verbindet das analytische Paar und schafft den Übergang zwischen der fehlenden Repräsentation und dem, was sich zeigen möchte. Sie überbrückt somit das persönliche Unbewusste (die implizite Erwartung) und das Archetypische. Dadurch wird aus einem Hoffnungs- ein Möglichkeitsraum, der hilft, die Kluft zwischen Erlebtem und Erhofftem zu überbrücken.
Schlüsselworte: unbewusste Kommunikation, archetypische Hoffnung, nicht repräsentierte Erfahrung, analytische Haltung, Regression in der Gegenübertragung
Isabelle Meier
Das unwirkliche Kind
Zur Ausbreitung dissoziativer Prozesse in einer analytischen Behandlung
Zusammenfassung: Nicht repräsentierte mentale Zustände führen zu einer Beeinträchtigung der Fähigkeit, Gefühle und Vertrauen in sich, in seine Geschichte und in die Welt zu empfinden. Der Artikel geht der Frage nach, wie Repräsentationen von sich selbst und einem relevanten Anderen, der Mutter, im Laufe einer Therapie möglich werden, wenn dissoziative Prozesse dies bisher verunmöglichten, und welche Rolle dabei die unbewusste Kommunikation im analytischen Raum spielt. Diese Frage wird in der Auseinandersetzung mit den Theorien von André Green, Philipp Bromberg und Peter Levine untersucht.
Schlüsselwörter: Dissoziation, unbewusste Kommunikation, nicht repräsentierte Erfahrung, analytische Haltung, Regression in der Gegenübertragung
Judith Noske
Die Bedeutung des Augenblickes in therapeutischen Prozessen von Kindern und Jugendlichen
Zusammenfassung: Therapeutische Veränderungsprozesse werden nicht nur durch kontinuierliche Beziehungsarbeit, Deutungsarbeit und durch das Erarbeiten von Entwicklungsmöglichkeiten moderiert. Oft sind es plötzlich auftretende, intensive Momente innerhalb der therapeutischen Beziehung, die gleichsam unsere Patienten wie auch uns selbst nicht unberührt lassen und die Impulse zur Veränderung geben.
Der folgende Artikel hat sich aus einer klinischen Untersuchung an der Kinder- und Jugendpsychiatrie Hinterbrühl in Niederösterreich entwickelt. Ziel war es, sich den im klinischen Alltag auftretenden Begegnungsmomenten praktisch, konzeptuell und wissenschaftlich über die Beziehungsachse der OPD-KJ anzunähern und ihnen darüber eine sichtbare praktische Relevanz zu verleihen.
Schlüsselwörter: Stationäre Kinder- und Jugendlichentherapie, Chaostheorie, Intersubjektiver Raum, Beziehungsachse der OPD-KJ-2, Moments of Meeting
Eckhard Frick
Wie kommen Psyche und Soma zusammen?
Vom psychosomatischen Problem zum Symbol
Zusammenfassung: Das Kompositum »psycho-somatisch«, geprägt vor zwei Jahrhunderten, ist noch immer ein unreifes Konzept. Es schwankt zwischen holistischen und dualistischen Zugangsweisen zu menschlichem Leiden, integriert psychogenetische Aspekte in medizinisches Denken oder aber schließt kategorisch alle Erkrankungen aus, die nicht die Kriterien organischer Krankheiten erfüllen. Was wir »Psyche« nennen, ist im frühen leiblichen Empfinden verwurzelt, das in der von Mutter und Kind geteilten »Einheitswirklichkeit« (Erich Neumann) auftaucht. Mit Hilfe der mütterlichen containing function unterscheidet das Kind allmählich die Repräsentanzen von Selbst, Körperselbst und Mutter (psychosomatische Triangulierung).
Das psychosomatische Problem ist nicht nur ein semantisches oder philosophisches Rätsel. Es kann weder durch holistische Theorien noch durch instrumentelle Körpertherapien gelöst werden. Psyche und Soma benötigen das lebendige Symbol als therapeutisches Drittes, das dem Leiden des Patienten Sinn gibt. Insgesamt wird das psychosomatische Problem zwischen Patient und Therapeut ausgehandelt, so dass ein Prozess gefördert wird, in dem leibliche und seelische Empfindungen benannt, verstanden und in Symbole transformiert werden.
Schlüsselwörter: psychosomatisch, Einheitswirklichkeit, Triangulierung, Erich Neumann, Körpertherapien
Sylvia Runkel
Psychosomatik – die Beziehung zwischen Psyche und Materie
Zusammenfassung: Körper und Psyche sind eine Einheit, die in ihrer psychophysischen Wirklichkeit erfahrbar ist. Dualistisches Denken und kausale Verknüpfung unterliegen Kategorien unserer begrenzten Wahrnehmung. Psychosomatik als eine verschränkte, synchronistische Beziehung zwischen Psyche und Soma zu denken, ermöglicht der Psychotherapie einen Zugang zum immer auch anwesenden Körper als einem in sich Sinn tragenden Leib.
Schlüsselwörter: Symptom, Symbol, psychophysischer Parallelismus, Synchronizitätsbeziehung
Ralf T. Vogel, Juliane Kärcher, Evi Bartel
Kurzzeittherapie in der Analytischen Psychologie
Zusammenfassung: Kurzzeittherapie ist in der Community der Analytischen Psychologie ein umstrittenes, bisweilen vehement abgelehntes psychotherapeutisches Arbeitsfeld. Menschenbildsfragen, Besonderheiten des analytischen Behandlungsprozesses und die Frage nach der Anwendbarkeit der analytisch-psychologischen Behandlungstheorie werden ins Feld geführt. Andererseits liegt gerade für die zeitlimitierten psychodynamischen Therapien am meisten Evidenz gemäß den Kriterien des akademischen Mainstreams vor. Der Artikel fasst die Beiträge eines eintägigen Symposions zum Thema der Kurzzeittherapie aus der Sicht der Analytischen Psychologie in München zusammen. Nach einem allgemeinen Einführungsteil, Überlegungen zum therapeutischen Prozess und Fragen der Indikation folgen erste Anregungen zur Nutzung dieser Ideen innerhalb der Analytischen Psychologie: Die komplexpsychologisch orientierte Darstellung einer »jungianisch inspirierten« Kurzzeittherapie sowie der Fallbericht einer Fokalbehandlung veranschaulichen auf einer praxisnahen Ebene Möglichkeiten und Grenzen einer analytisch-psychologischen Kurzzeittherapie.
Schlüsselwörter: Kurzzeittherapie, Fokaltherapie, Komplexpsychologie, Behandlungstechnik