Analytische Psychologie
Zeitschrift für Psychotherapie und Psychoanalyse
Heimat – eine Utopie?
Homeland – a Utopian Ideal?
Inhalt
Elisabeth Grözinger
Editorial
Beitrag 1
Donald E. Kalsched
Trauma, Unschuld und der Kernkomplex der Dissoziation
Beitrag 2
Ursula Brasch
Heimat als innerer und äußerer Sehnsuchtsort
Beitrag 3
Stefanie Nahler
Begegnungen im Augen-Blick
Archetypische und kulturspezifische Blick-Richtungen: Das Blick-Geschehen innerhalb der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen mit Migrations- oder
Fluchterfahrung
Beitrag 4
Isabelle Meier
Konjunkturen des Heimatbegriffes
Historisch-jungianische Betrachtungen
Beitrag 5
Diskussionsforum
Martin Roser
Gedanken zum Thema Heimat und Fremde
Beitrag 6
Monika Rafalski
»Über die Brücke gehen…« in Unbekanntes, in die verlorene Heimat und zu sich selbst
Beitrag 7
Workshopbericht
Andreas Pelz / Katharina Vogel-Schmitt
»Ich such' die DDR und keiner weiß, wo sie ist« (Feeling B)
Flüchtlingsarbeit im Kontext der eigenen Biografie
Beitrag 8
Filmbesprechung
Stefan Wolf
Unterwegs im Labyrinth
Beitrag 9
Marie Agnes Bochmann und Ralf T. Vogel
Zur Praxis der Aktiven Imagination aus dem Blickwinkel psychotherapeutischer Veränderungsprozesse
Eine Qualitative Pilotstudie
Beitrag 10
Denkbild
Stefan Wolf
Die Schwelle und ihr Hüter
Tagungsbericht
Isabelle Meier
Der 5. Forschungstag in Zürich vom 1. Juli 2017
Beitrag 11
Seminarbericht
Bettina Schöpke
Der eine Moment und das große Ganze!
Das Projekt Expressive Sandarbeit in Stuttgart – ein Erfahrungsbericht
Beitrag 12
Spielraum
Veronika Martin
Eins-Sein im Vielen – Dimensionen ganzheitlichen Identitätserlebens
Beitrag 13
Christian Roesler
Der Sinn von Paarkonflikten
Ein Modell Jung’scher Paartherapie
Beitrag 14
Uwe Langendorf
Grenzliebe, Liebesgrenzen und das Prinzip Enthaltung: Sustine et abstine
Bedeutung und Grenzen von Abstinenz
Erratum
Abstracts zu Alexander Reichardt
»Carrying life forward«
Förderpreis der Zeitschrift Analytische Psychologie
Buchbesprechungen
Vorschau
Richtlinien für Autorinnen und Autoren
Trauma, Unschuld und der Kernkomplex der Dissoziation
Traumaüberlebende klagen darüber, dass sie ihre Unschuld oder ihre Seele verloren ass etwas Verletzliches und Ganzes in ihnen »zerbrochen« sei. Wenn eine psychotherapeutische Beziehung beginnt, werden erkennbare Muster deutlich, die darauf hinweisen, dass der Kern der Unschuld und Vitalität nicht vollständig verlorengegangen ist. Im Gegenteil, dieser Kern wurde durch Dissoziation »gerettet«. Das dissoziative System spaltet ein verwundetes, verwaistes »Kind« ab. Leider ist der Preis dieses Schutzes hoch, denn eine solchermaßen abgekapselte Unschuld wird maligne und die Innenwelt pervertiert und zerstörerisch. Nur wenn dem verwundeten, verwaisten und unschuldigen Teil der Persönlichkeit zugestanden wird, Erfahrungen wieder zu durchleben – dieses Mal mit dem Versprechen eines neuen Resultats –, kann eine echte Heilung des Traumas stattfinden. Wie dieses authentische Leiden angesichts der starken Widerstände, die das »System« entgegenstellt, unterstützt werden kann, bildet den Fokus dieses Artikels.
Schlüsselwörter: Self-Care-System, Unschuld, Kernkomplex, dämonische Abwehrmechanismen, Motiv des dualen Kindes, Archetyp der Waise, authentisches vs. neurotisches Leiden.
Ursula Brasch
Heimat als innerer und äußerer Sehnsuchtsort
Heimat ist ein Komplex, der auf Erleben und Erfahrung basiert und immer wieder neu erschaffen wird. Insofern ist Heimat kein Begriff, sondern ein Narrativ. Dieses setzt sich aus Erinnerungen und Phantasien zusammen, die den gefühlsmäßigen Boden für die Sehnsucht nach der Heimat bilden. Die Frage ist dabei, ob Sehnsucht eine progressive oder regressive Entwicklung in Gang setzt und was über dieses Leitgefühl bewusstseinsfördernd auf den Weg gebracht wird. Aufgrund seiner Komplexwirkung stellt sich die Frage, welche psychologischen Folgen das Narrativ hat. Abschließend wird die transgenerationale Auswirkung des Narrativs in Fallbeispielen diskutiert.
Schlüsselwörter: Heimat, Narrativ, Sehnsucht, transgenerationale Auswirkung.
Stefanie Nahler
Begegnungen im Augen-Blick
Archetypische und kulturspezifische Blick-Richtungen: Das Blick-Geschehen innerhalb der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen mit Migrations- oder Fluchterfahrung
Der Beitrag strebt eine Verbindung von kultur- und kunsttheoretischen Thesen mit Beobachtungen aus Psychotherapien mit Kindern und Jugendlichen mit Flucht-bzw. Migrationserfahrung an. Im Zentrum stehen Reflexionen über archetypische – transkulturelle – und kulturspezifische Spielarten des menschlichen Blicks. Der Fokus des Beitrags liegt auf der Untersuchung von gemeinsamen Ursprüngen und unterschiedlichen Ausprägungen in den Blick-Richtungen westlicher und nahöstlicher Kulturen. Als Grundlage dient die Auseinandersetzung mit Schriften des Kunsthistorikers Hans Belting. Im therapeutischen Einlassen auf die andersartigen Blick-Richtungen kommt es im Idealfall zu einem bereichernden Blick- und Perspektivenwechsel.
Schlüsselwörter: Blick – transkulturelle Psychotherapie – Kinder- und Jugendlichen- Psychotherapie – Flucht – Migration
Isabelle Meier
Konjunkturen des Heimatbegriffes
Historisch-jungianische Betrachtungen
Der Heimatbegriff entspringt einem archetypischen Grundbedürfnis nach kultureller, sozialer und räumlicher Zugehörigkeit. Dieses Heimatbedürfnis lässt sich auch ideologisch verwenden. Im 19. Jahrhundert wurde Heimat zunehmend thematisiert und die Kultur in den Dienst der Nation gestellt. Daneben existierten jedoch immer auch Vorstellungen von Heimat, die mehr an einer offenen Kultur und Gesellschaft orientiert sind. Hypothese ist, dass historisch die archetypischen Bilder von Heimat und Fremde hin und her pendeln: Entweder betreffen sie eine eher aggressive, exkludierende Heimatvorstellung, in der die Kultur in den Dienst der Nation gestellt wird, oder sie betreffen eine offene Kultur, die das Fremde inkludieren und in der Gemeinschaft und Eros eine Rolle spielen. Ich werde im Folgenden verschiedene historische Heimatvorstellungen unter diesen Aspekten thematisieren.
Schlüsselwörter: Heimat, Fremde, Nation, Kultur, Geschichte.
Monika Rafalski
»Über die Brücke gehen…« in Unbekanntes, in die verlorene Heimat und zu sich selbst
Die von einem traumatisierten Flüchtling in den Therapieprozess eingebrachte Metapher des ›Über-die-Brücke-Gehens‹ wurde zum Schlüsselsymbol der Salutogenese. Im Rahmen einer Arbeitsgruppe der DGAP-Tagung 2017 wurde das Symbol amplifiziert durch Imaginationen der Teilnehmer, wodurch die Vorstellung dieses Falles vertieft und die Bedeutung der Metapher für das Leben des Patienten in ›zwei Welten‹, für das Überwinden seiner Dissoziationen und für den therapeutischen Dialog mit ihren vielen Aspekten gewürdigt werden konnte.
Schlüsselwörter: Brücke, Transzendente Funktion, therapeutischer Dialog.
Marie Agnes Bochmann / Ralf T. Vogel
Zur Praxis der Aktiven Imagination aus dem Blickwinkel psychotherapeutischer Veränderungsprozesse
Eine qualitative Pilotstudie
Die vorliegende Forschungsarbeit zur Aktiven Imagination leistet als Pilotstudie einen ersten Beitrag zur Annäherung an ein empirisch begründetes Modell einer übereinstimmenden Verständnisweise dieser Methode und der sie konstituierenden Faktoren und Komponenten. Die wesentlichen Ergebnisse der Studie bestehen vor allem in der Experten-Wahrnehmung als eine hoch wirksame Methode, die überraschende Wendepunkte im therapeutischen Prozess bewirken kann. Die Aussagen der befragten Experten lassen die Hypothese zu, dass der Wirkprozess im Wesentlichen vom imaginativen Austausch zwischen dem kohärenten Erwachsenen-Ich des Klienten und den inneren Anteilen der Persönlichkeit bzw. Hilfswesen in Verbindung mit dem deutenden Verstehen desselben bestimmt wird.
Schlüsselwörter: Aktive Imagination, psychotherapeutische Wirkprozesse, Pilotstudie, qualitative Inhaltsanalyse, Mayring
Veronika Martin
Eins-Sein im Vielen – Dimensionen ganzheitlichen Identitätserlebens
Es wird ein Modell ganzheitlichen Identitätserlebens vorgestellt, welches als vier Dimensionen die persönliche, interindividuelle, personale und transzendentale Identität umfasst. Die Identitätsdimensionen zeigen den Menschen im Verständnis seiner selbst vor dem Hintergrund seiner Bezogenheit – auf sich, seine Mitmenschen und auf das Transzendente hin. Im Zentrum eines ganzheitlichen Identitätserlebens finden wir das Erleben eines Seinsgefühls vor, welches dialektisch verbunden ist mit dem Erleben von persönlicher Biographie, Individualität, Würde und Freiheit. Abschließend wird die transformative Bedeutung identitätsstiftender Beziehungserfahrungen reflektiert und die unvoreingenommene Offenheit für das interpersonelle Geschehen als Kern psychoanalytischer Behandlungsidentität thematisiert.
Schlüsselwörter: Identität, Selbstkonzept, Alterität, Ich-Gefühl, Individuation.
Christian Roesler
Der Sinn von Paarkonflikten
Ein Modell Jung’scher Paartherapie
Die Motivation des hier vorgestellten Modells eines Jung’schen Paartherapieansatzes stammt aus meiner Doppelrolle als Jung’scher Analytiker und seit über 20 Jahren tätiger Paartherapeut. Die Jung’sche Psychologie beschäftigt sich bislang relativ wenig mit Paartherapie. Über die Jahre hinweg zeigte sich mir aber immer deutlicher, dass die Konzepte der Analytischen Psychologie sowie insbesondere ihre Sichtweise auf Beziehungsprozesse und deren Verknüpfung mit dem Unbewussten einen einzigartigen Verständnishintergrund darstellen, um Paarbeziehungen und ihre Dynamiken tiefer zu verstehen.
Schlüsselwörter: Paartherapie, Paarkonflikt, Beziehung, Unbewusstes, archetypische Konstellationen
Uwe Langendorf
Grenzliebe, Liebesgrenzen und das Prinzip Enthaltung: Sustine et abstine
Bedeutung und Grenzen von Abstinenz
Abstinenz sichert den Rahmen der Analyse. Sie wird gesetzlich und ethisch definiert. Sexuelles Agieren des Analytikers beschädigt den analytischen Raum, den Analysanden und den Analytiker selbst. Der Rahmen soll Lebendigkeit und Entfaltung des analytischen Paares begrenzen, aber nicht einengen. Die Freiheit für flexible Grenzüberschreitungen muss erhalten bleiben. Die Grenze liegt bei der Schädigung des Patienten. Daher die Maxime »sustine et abstine«: Ertrage und enthalte (dich). Können »Täter« dazu beitragen, die Psychodynamik der Abstinenzverletzung besser zu verstehen? Ein arabischer Philosoph erinnert an die Mitverantwortung von uns allen.
Schlüsselwörter: Abstinenz, Rahmen, Missbrauch, Fehlerkultur.