Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie
Zeitschrift für Psychoanalyse und Tiefenpsychologie
Symposium zum 80. Geburtstag von Angelika Staehle
Printausgabe – Heft 195, 53. Jg., 3/2022
Inhalt
Vorwort
Dieter Bürgin
Präödipale Funktionsstrukturen in Theorie und Praxis
Symposium zum 80. Geburtstag von Angelika Staehle
Harriet Wolfe
Weitergehende Gedanken über »Das Infantile« und seine multiplen Dimensionen
Adelheid M. Staufenberg
»Genderfluiditäten« und die Identitätssuche in der Adoleszenz
Heribert Blaß
Vita psychoanalytica – betrachtendes oder tätiges Leben?
Zur Feier des 80. Geburtstags von Angelika Staehle am 3. September 2021
Jörg M. Scharff
Wie anfangen?
Angela Moré
Zur Verbindung von Gruppenanalyse und Sozialwissenschaften
Ein Beitrag zur Würdigung der Gruppenanalytikerin Angelika Staehle
Heinz Weiß
Roger Money-Kyrles Beiträge zu einem psychoanalytischen Verständnis von Faschismus, Propaganda und Krieg – ihre Aktualität in Zeiten von Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg
Buchbesprechungen
Die Autorinnen und Autoren des Heftes
Ankündigungen
Präödipale Funktionsstrukturen in Theorie und Praxis
Symposium zum 80. Geburtstag von Angelika Staehle
Das Ich und das Selbst bilden sich im Verlauf der Entwicklung schon früh Vorstellungen über das Funktionieren des Körpers und, in Anlehnung an Körpermodelle, auch solche über die Psyche sowie über die Verbindung dieser beiden Arten des Seins und Habens. Anhand eines Märchens von Oscar Wilde wird solchen Vorstellungen aus der präverbalen Zeit nachgegangen. Dieser Inhalt wird mit einigen theoretischen Überlegungen verknüpft und diskutiert.
Schlüsselwörter: Psyche und Soma, Embodiment, Körperrepräsentanz, präverbale Zeit.
Harriet Wolfe
Weitergehende Gedanken über »das Infantile« und seine multiplen Dimensionen
»Das Infantile und seine multiplen Dimensionen«, Thema des IPV-Kongresses in Vancouver 2021, bleibt nach wie vor faszinierend und anregend. Das wissenschaftliche Programm hat gezeigt, dass das Konzept flexibel definiert und infolgedessen elastisch ist. Es beschreibt präverbales menschliches Erleben. Sobald wir »das Infantile« in Worte fassen, erhält es zwangsläufig mannigfaltige Bedeutungen.
Ich beginne mit meinen Gedanken über die Bedeutung des Infantilen, zu denen mich der Kongress angeregt hat. Anschließend konzentriere ich mich auf das Infantile in seiner Beziehung zu psychoanalytischem Lernen und zur Führung von Menschen. Meiner Ansicht nach ist in diesen beiden professionellen Bereichen eine Auseinandersetzung mit den eigenen infantilen Erfahrungen sowie mit denen der Kolleginnen, der Kollegen und der Studierenden unverzichtbar.
Schlüsselwörter: das Infantile, psychoanalytische Ausbildung, Professionaliät.
Adelheid M. Staufenberg
»Genderfluiditäten« und die Identitätssuche in der Adoleszenz
Die Adoleszenz als Zeit des Umbruchs, der Integration des sexuellen Körpers, der Entwicklung und Festigung des Identitätsgefühls wird in besonderer Weise berührt, wenn sie mit dem transsexuellen Wunsch zusammentrifft. Die medial präsente Diskussion über Transsexualität und queere Identitäten bieten Jugendlichen nicht nur einen Raum, sich freier entwickeln zu können, sondern stellen auch eine Herausforderung und Verunsicherung dar.
Schlüsselwörter: Adoleszenz, Bisexualität, Jugendlichen-Psychotherapie, Sexualität, Transgender.
Heribert Blaß
Vita psychoanalytica – betrachtendes oder tätiges Leben?
Zur Feier des 80. Geburtstags von Angelika Staehle am 3. September 2021
Ausgehend von Angelika Staehles Vollendung ihres 80. Lebensjahrs beschäftigt sich der Autor mit der Frage, welche Faktoren für ein auf Dauer befriedigendes und produktiv tätiges Leben als PsychoanalytikerIn bedeutsam sein können. Er benennt verschiedene bewusste und unbewusste Motive für eine Berufswahl als PsychoanalytikerIn. Dabei verbindet er ein dauerhaftes Interesse an Psychoanalyse mit einer Fähigkeit zum Staunen und forschender Verwunderung über die Welt, wie es bereits in der klassischen griechischen Philosophie mit dem Begriff vom Thaumazein gefasst ist. Das Staunen benötigt epistemisches Vertrauen, um tätige und kontemplative Elemente gegen eine mögliche Verzweiflung im beruflichen und privaten Leben zu verbinden. Es werden Bezüge zur Übernahme von Verantwortung im gesellschaftlichen Feld sowie zum kontinuierlichen Kontakt mit der seelischen Welt von Kindern und Jugendlichen hergestellt.
Schlüsselwörter: Staunen, epistemisches Vertrauen, tätiges Leben, träumerische Aktivität, gesellschaftliche Verantwortung, Kinder und Jugendliche.
Jörg M. Scharff
Wie anfangen?
Mit Betonung der zwischenleiblichen Aspekte von Übertragung und Gegenübertragung wird die Behandlung einer Patientin mit einer frühen Störung der Mutterbeziehung geschildert. Die Patientin kam ohne jedes Gefühl, ohne jeden emotionalen Erwartungshorizont in die Stunden. Ausgewählt werden drei Momente, die sich in diesem Fall als besonders förderlich für die therapeutische Entwicklung herausgestellt haben: das aufmerksame Gewahrsein der aktuellen leiblichen Verfassung; eine leiblich fundierte Haltung geduldigen Zuwartens, die Raum gibt für das, was seelisch noch nicht möglich ist; und schließlich die Bereitschaft, in Momenten, wo die Patientin in einer ungeschützten Arglosigkeit sich einer neuen Erfahrung öffnet, direkter als in der sonst rahmenüblichen Weise als antwortende Person verfügbar zu sein.
Schlüsselwörter: Psychoanalyse und Körper, Frühe Störungen, Übertragung, Gegenübertragung.
Angela Moré
Zur Verbindung von Gruppenanalyse und Sozialwissenschaften
Ein Beitrag zur Würdigung der Gruppenanalytikerin Angelika Staehle
Ausgehend von einigen (Groß-)Gruppenphänomenen während der Corona-Pandemie stellt die Autorin einige zentrale sozialwissenschaftliche Bezüge dar, die Einflüsse auf die Entwicklung der gruppenanalytischen Theorie von S. H. Foulkes hatten. Bezugnehmend auf einen Beitrag von A. Staehle werden das gruppenanalytische Setting und dessen Vorteile für den Verlauf von therapeutischen Prozessen vorgestellt. In Verbindung damit geht der Beitrag auf das metatheoretische Konzept der Matrix sowie dessen Entstehung und Bedeutung ein. Schließlich kommt die Autorin auf neuere Ansätze der Großgruppenforschung zu sprechen und kommt damit auf die gesellschaftspolitische Bedeutung der Gruppenanalyse zurück.
Schlüsselwörter: gesellschaftliche Bedeutung der Gruppenanalyse, Gruppenanalyse, Matrix, Corona-Pandemie.
Heinz Weiß
Roger Money-Kyrles Beiträge zu einem psychoanalytischen Verständnis von Faschismus, Propaganda und Krieg – ihre Aktualität in Zeiten von Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg
Der Beitrag geht auf einen Online-Vortrag bei der Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalyse und Psychotherapie, Berlin, zurück, der am 12. April 2022 aus Anlass der aktuellen Ereignisse des Ukraine-Krieges gehalten wurde. Er fasst die wichtigsten Ergebnisse der psychoanalytischen Untersuchungen Roger Money-Kyrles zur Entstehung autoritärer und faschistischer Strukturen in den Jahren zwischen 1934 und 1951 zusammen. Hierzu gehören seine Überlegungen zu den psychologischen Kriegsursachen, die Analyse der faschistischen Propaganda sowie seine Beschreibung der Persönlichkeitskonstellationen, die er unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches bei seinen Interviews im Auftrag der Britischen Kontrollkommission in Deutschland vorfand. Die Aktualität und Relevanz seiner Studien wird am Beispiel des Agitationsstiles und der Argumente der heutigen populistischen Rechten sowie des aktuellen Krieges in der Ukraine aufgezeigt.
Schlüsselwörter: Propaganda, Krieg, demokratischer, autoritärer und faschistischer Charakter.