Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie
Zeitschrift für Psychoanalyse und Tiefenpsychologie
Formen der Elternschaft
E-Journal (pdf) – Heft 176, 48. Jg., 4/2017
Inhalt
Vorwort
Beitrag 1
Wolfgang Oelsner / Gerd Lehmkuhl
Psychodynamische Aspekte in der Entwicklung von »Spenderkindern«
Narrative von Erwachsenen, die einst per Fremdsamenspende gezeugt wurden
Beitrag 2
Kati Albert-Horzetzky
Psychoanalytische Säuglings-Kleinkind-Eltern-Psychotherapie (SKEPT) angesichts sich wandelnder gesellschaftlicher und familiärer Bedingungen
SKEPT in der Spätmoderne
Beitrag 3
Karin J. Lebersorger
»Wunschkinder« zwischen Verantwortung, Heimlichkeit und Zweifel
Herausforderungen für die Eltern-Kind-Beziehung nach medizinisch assistierter Reproduktion
Beitrag 4
Antónia Grimalt
Das Problem ist… ihr Vater ist »Fremder«
Beitrag 5
Lena Neuburger
Wenn die Kinderpsychotherapeutin schwanger wird
Die Auswirkungen von Schwangerschaft und Mutterschaft in der psychoanalytischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen
Beitrag 6
Heike Degen-Hientz
Babybeobachtung – eine Vignette
Gedanken zum präverbalen Verstehen
Nachruf
Ross Allen Lazar
Buchbesprechungen
Die Autorinnen und Autoren des Heftes
Ankündigungen
Psychodynamische Aspekte in der Entwicklung von »Spenderkindern«
Narrative von Erwachsenen, die einst per Fremdsamenspende gezeugt wurden
Eine Übersicht von beanspruchten und gängigen reproduktionsmedizinischen Methoden zur Kinderwunscherfüllung wird voran gestellt. Studienergebnisse attestieren Kindern aus solchen Konstellationen eine normale, unauffällige Entwicklung. Als »Wunschkinder« wachsen sie in überwiegend zugewandten, fördernden Bindungsverhältnissen auf. Kritisch wird angemerkt, dass sich die insgesamt noch recht dünne Studienlage vorwiegend auf funktionale Entwicklungseckpunkte (Bildung, Beruf, Partnerschaft) bezieht. Aussagen über intrapsychische Prozesse werden nicht gemacht.
Eigene Befragungen von Erwachsenen, die einst per Samenspende (Donogene Insemination) gezeugt worden waren, offenbaren deren Empfinden von einer »Elternschaft zu dritt«. Der meist unbekannte Samenspender (»genetischer Vater«) existiert als innere Repräsentanz. Seiner Person und Gestalt aber ist nicht habhaft zu werden. Das erschwert notwendige Entidealisierungsprozesse kindlicher Projektionen.
Eine frühe Aufklärung der Kinder über ihren Zeugungsstatus kann einer fortgesetzt unüberprüfbaren Projektion vorbeugen. Auch hilft es, Misstrauen gegenüber der eigenen Wahrnehmung der Eltern-Kind-Beziehung zu vermeiden. Magische Denkstrukturen garantieren indes nicht, dass die Aufklärung im erwachsenen Sinne aufgenommen wird. Zudem kann das frühe Mitwissen eines Familiengeheimnisses zum Nährboden einer Parentifizierung werden.
Die Narrative reflektierter, erwachsener »Spenderkinder« dokumentieren, dass die Bedeutung des Samenspenders für die Kinder größer ist, als von Kinderwunschzentren propagiert. Für Betroffene ist es anstrengend, einen unbekannten genetischen Elternteil ins Selbstbild zu integrieren. Auch die genealogische Dimension ist tiefer in Entwicklungsprozessen verortet, als es Verfechter reproduktionstechnischer Methoden glauben machen wollen.
Schlüsselwörter: Kinderlosigkeit, Kinderwunscherfüllung, Samenspende, Donogene Insemination, alternative Elternschaft, Genealogie, Generationenbeziehungen.
Kati Albert-Horzetzky
Psychoanalytische Säuglings-Kleinkind-Eltern-Psychotherapie (SKEPT) angesichts sich wandelnder gesellschaftlicher und familiärer Bedingungen
SKEPT in der Spätmoderne
Geisteswissenschaftler beschreiben unsere Zeit pointiert als Hypermoderne. Der Mensch ist flexibel, innovativ, lebt mit einer Vielzahl von Optionen und »beschleunigt«. Doch spätestens mit der Geburt des ersten Babys ändern sich die Bedingungen. Denn das Leben mit einem Baby bedeutet überwiegend, Abhängigkeit und Konstanz zu akzeptieren und eigene Bedürfnisse zurückzunehmen. Manche Paare finden sich plötzlich in traditionellen Rollen wieder. Andere rivalisieren um die »Definitionsmacht« der Mutterschaft oder um die verlorengegangene Freiheit. Auch hat die narzisstische Besetzung des »Projektes Kind« zugenommen, was Eltern und Baby sehr unter Druck setzen kann. Ebenso führt die moderne Zeugungs-, Schwangerschafts- und Geburtsmedizin zu einer Vielzahl möglicher Konflikte und unbewusster Projektionen auf das Baby. In diesem Artikel geht es darum, zu verstehen, welche Bedeutung diese Entwicklung für die Eltern und deren Babys haben kann.
Schlüsselwörter: psychoanalytische Säuglings-Kleinkind-Eltern-Psychotherapie, Eltern-Baby-Therapie, frühe Elternschaft, Familien in der Postmoderne, postpartale Krisen.
Karin J. Lebersorger
»Wunschkinder« zwischen Verantwortung, Heimlichkeit und Zweifel
Herausforderungen für die Eltern-Kind-Beziehung nach medizinisch assistierter Reproduktion
Der Einsatz von assistierten Reproduktionstechnologien (ART) erfordert komplexe emotionale Anpassungsleistungen von Eltern und Kind. Die Öffnung der Paardyade sowie der familiären Triade um bedeutsame Andere führt zu bewussten und unbewussten Phantasien, die die Eltern-Kind-Beziehungen beeinflussen. Kommen biologisch Andere zum Einsatz, stellen Offenheit von Anfang an, die Anerkennung multipler Elternschaft sowie die Bewältigung genealogischer Brüche und fehlender Information eine emotionale Herausforderung für alle Beteiligten dar, besonders aber für die Identitätsfindung des Kindes. Die Tabuisierung seiner Zeugung belastet die familiären Beziehungen, ebenso wie unrealistische elterliche Erwartungen, die seitens der Versprechungen der Reproduktionsmedizin oftmals gefördert werden.
Schlüsselwörter: Medizinisch assistierte Reproduktion, Erweiterung der ödipalen Triade, Familiengeheimnis, imaginäres Kind, multiple Elternschaft.
Antónia Grimalt
Das Problem ist… ihr Vater ist »Fremder«
Die Autorin beschreibt die langjährige und hochfrequente Analyse einer zu Therapiebeginn 14-jährigen Jugendlichen, die durch eine Samenspende gezeugt wurde. Die psychische Bedeutung des Einflusses dieser Zeugung durch einen Dritten auf das Beziehungsgeschehen innerhalb der Familie, die Entwicklung des Mädchens und ihre Identitätsbildung in der Adoleszenz werden aufgezeigt und in ihren Auswirkungen von Entfremdung und Leere, einer symbiotischen Bindung an die Mutter und der Unmöglichkeit von Triangulation beschrieben. Im Therapieprozess kam es zu eindrücklichen Gegenübertragungsreaktionen und -inszenierungen, die halfen, die qualvolle Situation des Mädchens zu verstehen, so dass die inzwischen junge Frau in diesem Prozess beginnen konnte, ihre Emotionen über das In-Worte-fassen zu fühlen und so auch Sprache für das Fremde in sich zu finden.
Schlüsselwörter: Zeugung durch Samenspende, Fremdheit, Leere, Symbiose, Triangulation.
Lena Neuburger
Wenn die Kinderpsychotherapeutin schwanger wird
Die Auswirkungen von Schwangerschaft und Mutterschaft in der psychoanalytischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen
Anhand klinischer Beispiele diskutiert die Autorin Auswirkungen von Schwangerschaft der Therapeutin auf den Behandlungsverlauf in analytischen Psychotherapien mit Kindern und Jugendlichen. Hierbei werden insbesondere die Aspekte beleuchtet, welche Gefühle und Phantasien diese anderen Umstände bei den Patienten auslösen und wie die Therapeutin die Übertragungs-/Gegenübertragungsbeziehung mit fortschreitender Schwangerschaft selbst erlebt. Eigene Erfahrungen der Autorin in der psychotherapeutischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und deren Eltern sowie Überlegungen und Befunde anderer Autorinnen zeigen, dass eine Schwangerschaft einen sehr bedeutsamen Raum in der therapeutischen Beziehung einnimmt und daher auch behandlungstechnisch Aufmerksamkeit verdient.
Schlüsselwörter: Schwangerschaft, Dyade, Triangulierung, Gegenübertragung, Trennungsangst, Schuldgefühl.