Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie
Zeitschrift für Psychoanalyse und Tiefenpsychologie
Adoleszenz
E-Journal (pdf) – Heft 184, 50. Jg., 4/2019
Inhalt
Vorwort
Beitrag 1
Peter Bründl
Adoleszente Transformationsprozesse in der beschleunigten globalisierten Moderne und die Modifikationen der Jugendlichen-Psychoanalyse
Beitrag 2
Susanne Benzel
Körperszenen – Selbstverletzungen in der Adoleszenz
Beitrag 3
Angelika Reil
Körperinszenierungen, Körpermodifikationen durch Tätowierung und Piercing
Tätowierung und Piercing – wie Jugendliche damit umgehen und welche Bedeutung darin liegen kann
Beitrag 4
Arne Burchartz
Deutung in der analytischen Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie
Beitrag 5
Rainer Funk
Genug ist (nicht) genug – Streben nach Entgrenzung und Grenzen der Selbstoptimierung
Beitrag 6
Forum
Helmut Leipersbergerr
Sturmwarnung
Psychische Aspekte des Versagens gegenüber dem Klimawandel und die Frage der Fürsorge
Buchbesprechungen
Die Autorinnen und Autoren des Heftes
Ankündigungen
Adoleszente Transformationsprozesse in der beschleunigten globalisierten Moderne und die Modifikationen der Jugendlichen-Psychoanalyse
Im Text werden die Weiterentwicklung und die Transformationen wichtiger Konzepte der psychoanalytischen Entwicklungslehre, Klinik und Theorie des Jugendlichenalters seit Freuds Dritter Abhandlung von 1905 bis ins 21. Jahrhundert zur Diskussion gestellt. Den Abschluss bildet eine Vignette aus der Behandlung eines spätjugendlichen Geflüchteten und Überlegungen zum Beitrag der Arbeit mit Migranten zur Psychoanalyse.
Schlüsselwörter: Adoleszenz, Jugendlichenpsychoanalyse, Arbeit mit Geflüchteten, Globalisierung, beschleunigte Moderne, Migration.
Susanne Benzel
Körperszenen – Selbstverletzungen in der Adoleszenz
In diesem Beitrag steht die zentrale Bedeutung des Körpers bei selbstverletzenden Handlungen im Fokus: Der Körper wird zu einem Ort, an dem psychische Wunden teils dramatisch, teils still und unscheinbar zum Ausdruck gebracht werden und oftmals über Narben sichtbare Spuren hinterlassen. Die Art und Weise, wie der Körper erlebt und verwendet wird und welche Bedeutung diesem zukommt, hängt entwicklungsbedingt von den nachhaltigen primären Objektbeziehungserfahrungen ab. Adoleszente sind mit diesen, auch leiblich eingeschriebenen Erfahrungen in besonderer Form konfrontiert, da sie über die puberalen Veränderungen vordergründig werden. Daher stellt sich die Frage, in welcher Weise Selbstverletzungen und die Bedeutung des Körpers mit den Objektbeziehungen, aber auch den körperlichen Veränderungen in der Adoleszenz zusammenhängen. Insofern wird zunächst auf die Bedeutung des Körpers in entwicklungs- und adoleszenztheoretischer Sicht eingegangen. Anschließend werden anhand von zwei Fallbeispielen aus einer qualitativen Studie unter Berücksichtigung der biographischen Gesamtformung zwei unterschiedliche Varianten der Bedeutung und Verwendung des Körpers dargestellt.
Schlüsselwörter: Adoleszenz, Selbstverletzungen, Körper, Geschlecht, Pubertät, Tattoo, Piercing.
Angelika Reil
Körperinszenierungen, Körpermodifikationen durch Tätowierung und Piercing
Tätowierung und Piercing – wie Jugendliche damit umgehen und welche Bedeutung darin liegen kann
Nach einem kurzen Abriss zur Geschichte der Tätowierung werden statistische Zahlen zum Einstieg in das Thema genannt. Diese beziehen sich auf die Altersgruppe der Jugendlichen, mit denen Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten arbeiten. Tätowierung und Piercing unter dem phänomenologischen Aspekt der Masse wird in Abgrenzung zur Symptombildung differenzierend diskutiert. Danach werden die Technik und die Durchführung von Tätowierung und Piercing beschrieben. Dem Thema Tätowierung und Piercing wird sich weiter über Körpermodifizierung in Stammesgesellschaften angenähert. Im Anschluss daran wird die Autorin die Bedeutung von Körperveränderungen in den Blick nehmen, die Jugendliche bewusst formulieren. Die Herausarbeitung der psychodynamischen Überlegungen mit beispielhaften Fallvignetten zeigt die Komplexität dieses Themas und leitet über in eine Zusammenfassung der Erfahrungen mit der Arbeit mit den Patientinnen.
Schlüsselwörter: Körperbewusstheit, Körpermodifizierung, Kollektivverhalten, Übertragung, Angst, Introjektion.
Arne Burchartz
Deutung in der analytischen Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie
Nach einleitenden Bemerkungen zum Deuten als menschlichem Erkenntnisvorgang stellt der Artikel einige Bedingungen für das Deuten in der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie dar. Es wird der Vorgang nachgezeichnet, wie eine Deutung entsteht, welche Perspektiven das Deuten einnehmen kann und welche Deutungstechniken den analytischen Prozess fördern. Einige Gedanken zur Validierung der Deutung und Überlegungen zum Deuten in der begleitenden Psychotherapie der Bezugspersonen runden den Beitrag ab.
Schlüsselwörter: Deutung, Übertragung, Gegenübertragung, Widerstand, Abwehrmechanismen.
Rainer Funk
Genug ist (nicht) genug – Streben nach Entgrenzung und Grenzen der Selbstoptimierung
Ein selbstbestimmtes Leben zu führen, das sich von keinen äußeren und inneren Vorgaben einschränken lässt, gleichzeitig aber hohe Ansprüche an Selbstoptimierung und Selbstverwirklichung zu realisieren versucht, zeichnet vermehrt das Leben von vor allem jungen Menschen aus, die therapeutische Hilfe suchen. Was bringt sie dazu, ihr Leben so einzurichten, dass sie sich mit Grenzen und Selbstbegrenzungen so schwer tun und sich nicht mit weniger begnügen können? Der folgende Beitrag fragt anhand der Psychoanalytischen Sozialpsychologie Erich Fromms nach den Ursachen für die Entwicklung eines neuen Sozialcharakters, der sich die digitale Technik und die elektronischen Medien zunutze macht, um selbstbestimmt, ungebunden und ohne Rücksicht auf Vorgaben und Maßgaben Wirklichkeit neu, anders und besser zu schaffen und dabei vor der eigenen Persönlichkeit nicht Halt macht. Der Fokus der Ausführungen liegt dabei nicht auf den sich daraus ergebenden klinischen Fragen, sondern auf den pathogenen Auswirkungen dieser Sozialcharakterbildung in den Psychen der Vielen. Die Frage der Unersättlichkeit – des Nicht-genug-bekommen-Könnens – ist so alt wie die Menschheit. Sie wurde traditionell vor allem unter dem Begriff der Gier erörtert, und zwar einer Gier, bei der man trotz Befriedigung nicht satt wird. Dass man Hunger hat und deshalb eine Gier spürt, ist etwas sehr Natürliches; dass man die Gier befriedigt und sich dennoch unersättlich erlebt, verweist auf eine charakterologische Gier und bedarf einer psychologischen Erklärung.
Schlüsselwörter: Selbstoptimierung, Sozialcharakter, Ich-Orientierung, virtuelle Persönlichkeit, Ich-Stärke, Ohnmacht, Erich Fromm.
Forum
Helmut Leipersberger
Sturmwarnung
Psychische Aspekte des Versagens gegenüber dem Klimawandel und die Frage der Fürsorge
Es besteht eine höchst irritierende Diskrepanz zwischen dem verfügbaren Wissen um die enorme Tragweite des anthropogenen Klimawandels und seiner unsicheren Repräsentanz in unserer inneren Welt – auch hinsichtlich der Konsequenzen für unser Handeln. Dafür werden maßgebliche Faktoren des Erlebens, der emotionalen Einschätzung sowie dynamische Einflüsse untersucht. Der Wirkung einer unbewussten Phantasie in der menschlichen Beziehung zur Natur wird dabei großes Gewicht beigemessen. Die verbreiteten Abwehrmechanismen der Verleugnung und Verwerfung werden nicht so sehr als Reaktion auf unerträgliche Angst oder Schuld, sondern mehr als Ausdruck des Unwillens verstanden, sich auf die notwendigen Veränderungen einzulassen. Die Bewegung »Fridays for Future«, getragen von jungen Menschen, die mit den Folgen der heutigen Versäumnisse werden leben müssen, wird als Versuch gewürdigt, der Realität des Klimawandels das notwendige Gewicht im politischen Handeln zu sichern.
Schlüsselwörter: Klimawandel, »Fridays for Future«, Natur, unbewusste Phantasie.