
Luzifer-Amor
Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse
Amerikanische Impulse für die westdeutsche Nachkriegspsychoanalyse
Printausgabe – Heft 58, 29. Jg., 2/2016
Inhalt
Schwerpunkt:
Amerikanische Impulse für die westdeutsche Nachkriegspsychoanalyse
Editorial
Beitrag 1
Susanne Kitlitschko
»Um Ihre Erfahrungen haben wir alle Grund Sie zu beneiden.« Walter-Fritz Seemanns Aufenthalt in Chicago im Spiegel seines Briefwechsels mit Alexander Mitscherlich
Beitrag 2
Felix Schottlaender
Bericht über meine 90tägige Reise durch die Vereinigten Staaten, 18. Mai – 16. August 1950.
Herausgegeben und eingeleitet von Simone Bley
Beitrag 3
Martin Klüners
Mitscherlich in Amerika. Westernisierung am Beispiel eines Arztes und Intellektuellen
Beitrag 4
Gunzelin Schmid Noerr
Psychoanalyse im Dienst des gesellschaftlichen Neubeginns. Wie Max Horkheimer und Theodor W. Adorno die Re-Institutionalisierung der Psychoanalyse im Nachkriegsdeutschland förderten
Aus der Forschung
Beitrag 5
Wolfgang Bock
»Lieber Max, wie sehr wir eins sind, wurde mir erst am Tag nach Abgang meines letzten Briefes an Dich klar.« Max Horkheimer und Karl Landauer als erster Psychoanalytiker am Frankfurter Institut für Sozialforschung
Beitrag 6
Roman Krivanek
»Auch wäre es feige, den Feinden der Analyse hier das Feld zu räumen.« Zur Korrespondenz von Richard und Editha Sterba mit Anna Freud 1946–1982
Beitrag 7
Biografische Neuentdeckungen und Ergänzungen zum III. Psychoanalytischen Kongress in Weimar (1911). Teil II: Maria von Stach, Georg Wanke ‒ und der Photograph Franz Vältl
Andreas Peglau: Maria von Stach (1876‒1948), verheiratete Lessing / Naef / Dingler, Patientin und Freundin von Karen Horney
Michael Schröter: Neues über Georg Wanke
Andreas Peglau: Der Photograph: Splitter zur Biographie von Franz Vältl
Kleine Mitteilungen
Michael Molnar
Kampf und Probe. Zum 3. Band der Brautbriefe von Sigmund Freud und Martha Bernays
Andrea Huppke
29. Symposion zur Geschichte der Psychoanalyse, 26.–28. Februar 2016 in Berlin
Rezensionen
Werner: Freud und Walter Benjamin (Bock)
Knote: Geistliche und psychologische Kur (Giefer)
Aichhorn / Fallend (Hg.): August Aichhorns Vorlesungen (v. Planta)
Heim / Modena (Hg.): Lacan und Lorenzer (Köchel)
Borck / Schäfer (Hg.): Psychiatrisches Aufschreibesystem (Herrn)
Frambach / Thiel (Hg.): Friedlaender / Mynona (Hermanns)
Weitere Neuerscheinungen und Neuauflagen
»Um Ihre Erfahrungen haben wir alle Grund Sie zu beneiden.« Walter-Fritz Seemanns Aufenthalt in Chicago im Spiegel seines Briefwechsels mit Alexander Mitsch erlich
Der Arzt Walter-Fritz Seemann hielt sich dank eines Stipendiums der Rockefeller Foundation von November 1948 bis Juni 1949 als »special student« am Institute for Psychoanalysis in Chicago auf, das zu der Zeit ein Zentrum der analytischen psychosomatischen Forschung war. Anhand des Briefwechsels zwischen Seemann und Alexander Mitscherlich wird detailliert nach gezeichnet, auf welche Weise die Arbeit am Wissens- und Erfahrungstransfer in das von Nationalsozialismus und Krieg zerstörte Deutschland konkret geleistet wurde. Als einer der ersten nicht-emigrierten Deutschen an einer US-amerikanischen psychoanalytischen Institution fand sich Seemann dort überraschend freundlich aufgenommen und profitierte von einer kooperativen scientific community, reich gefüllten Bibliotheken und einer Lehranalyse beim Berliner Emigranten Fritz Moellenhoff. Über die Beschaffung von im Nachkriegsdeutschland dringend benötigter psychosomatischer Forschungsliteratur und die Akquise von Vortragsmanuskripten zum Abdruck in der jungen Psyche wurde Seemanns Aufenthalt auch für Mitscherlich hoch wirksam. Nach seiner Rückkehr wurde Seemann ein enger Mitarbeiter Mitscherlichs in Heidelberg, ging ab 1954 jedoch eigene Wege. Skizziert werden auch die Hintergründe des Stipendiums, das ursprünglich Seemanns Ehefrau Ursula Seemann-de Boor erhalten hatte, eine Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus.
Martin Klüners
Mitscherlich in Amerika. Westernisierung am Beispiel eines Arztes und Intellektuellen
Der Aufsatz widmet sich dem Tagebuch, das Alexander Mitscherlich während seiner auf Einladung der Rockefeller Foundation unternommenen Amerika-Reise im Jahr 1951 verfasst hat. Das Hauptaugenmerk gilt dabei Mitscherlichs Amerika-Bild. Es wird der Frage nach gegangen, inwieweit sich in den ausführlichen Schilderungen seiner Erlebnisse und Eindrücke traditionelle alteuropäisch-bildungsbürgerliche Vorbehalte und moderne Westernisierungstendenzen miteinander mischen. Bis weit in die 1930er Jahre hinein stand Mitscherlich nämlich unter dem Einfluss eines deutlich anti-amerikanisch ausgerichteten intellektuellen Milieus, bevor sich seine Haltung im Zuge des passiven Widerstandes gegen das NS-Regime änderte und er insbesondere in der unmittelbaren Nachkriegszeit freundschaftliche Kontakte zur Besatzungsmacht pflegte sowie darüber hinaus am Westernisierungsprojekt amerikanischer und deutscher Intellektueller sogar selbst aktiv Anteil hatte. Als Einstieg in die Untersuchung von Mitscherlichs Reiseaufzeichnungen dient daher ein kurzer Überblick über seine geistige Sozialisation vor dem Hintergrund der Geschich te des deutschen Amerika-Bildes.
Gunzelin Schmid Noerr
Psychoanalyse im Dienst des gesellschaftlichen Neubeginns. Wie Max Horkheimer und Theodor W. Adorno die Re-Institutionalisierung der Psychoanalyse im Nachkriegsdeutschland förderten
Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, die Protagonisten der »Kritischen Theorie der Gesellschaft «, vertraten eine geschichtsphilosophisch begründete Skepsis gegenüber der Stellung des Subjekts in der kapitalistischen Gesellschaft und gegenüber der Erklärungskraft der Psychoanalyse. Unbeschadet davon bemühten sie sich tatkräftig um die Re-Etablierung der Psychoanalyse im Nachkriegsdeutschland. Diese Tätigkeiten sind in gesellschaftspraktischer Hinsicht im Rahmen der »Re-Education«, der nachhaltigen Überwindung nationalsozialistischer Einstellungen im Bereich von Bildung und Erziehung, zu verorten. Horkheimer und Adorno hatten schon während ihres amerikanischen Exils intensiv mit Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytikern zusammengearbeitet. Darauf aufbauend, organisierten sie nach ihrer Rückkehr nach Frankfurt zahlreiche Vorträge und Tagungen zur Psychoanalyse. Näher betrachtet wird hier die Zusammenarbeit mit Friedrich Hacker, Alexander Mitscherlich , Heinrich Meng und Bruno Bettelheim.
Wolfgang Bock
»Lieber Max, wie sehr wir eins sind, wurde mir erst am Tag nach Abgang meines letzten Briefes an Dich klar.« Max Horkheimer und Karl Landauer als erster Psychoanalytiker am Frankfurter Institut für Sozialforschung
Die Frankfurter Schule ist dafür bekannt, als erste Einrichtung in Deutschland 1929 die Psychoanalyse offiziell in die Universität aufgenommen zu haben. Die wichtigste Person war dabei Karl Landauer. Bei ihm absolvierten Fromm, Horkheimer und andere Lehranalysen, er arbeitete im Institut und den ersten Jahrgängen der Zeitschrift für Sozialforschung maßgeblich mit. Landauer und Horkheimer tauschen sich in der Emigration regelmäßig aus und besprechen ihre Texte miteinander. Landauer ist auch verantwortlich für die das weitere Institutsprogramm bestimmende Rezeption der Psychoanalyse bei Horkheimer, wie sie programmatisch in dessen Aufsatz »Egoismus und Freiheitsbewegung« von 1936 zum Ausdruck kommt. Als er 1945 im KZ ermordet wird, ist das ein großer persönlicher und theoretischer Verlust für Horkheimer, den er kaum überwindet. Auch beim bekannten Streit zwischen Adorno und Fromm im Institut für Sozialforschung steht eine ältere Rivalität zwischen den psychoanalytischen Instituten von Berlin und Frankfurt im Hintergrund, die sich durch Emigration und die Gleichschaltung im NS verschärft .
Roman Krivanek
»Auch wäre es feige, den Feinden der Analyse hier das Feld zu räumen.« – Zur Korrespondenz von Richard und Editha Sterba mit Anna Freud 1946–1982
Der Artikel stellt in Ausschnitten das Sch icksal des aus Wien stammenden Analytikerpaars Richard und Editha Sterba nach deren Emigration in die USA dar. Grundlage der Auseinandersetzung sind die Schriftstücke der Korrespondenz der Sterbas mit Anna Freud, die in der Library of Congress in Washington in den Anna Freud Papers aufbewahrt werden. Sie dokumentiert die glühende Verehrung, die Richard Sterba sowohl Sigmund als auch Anna Freud entgegenbrachte. Die Sterbas versuchten, Anna Freud zu einer dauerhaften Niederlassung in den USA zu bewegen. Im Zuge der Korrespondenz ergeben sich auch Einblicke in sehr persönliche Ansichten der Korrespondenzpartner über Berufskollegen und historische Ereignisse. Es werden jene Vorgänge dargestellt, die schließlich zur Auflösung der Detroit Psychoanalytic Society führten. Es wird aufgezeigt, wie im Zuge dieser Vorgänge die Sterbas wichtige berufliche Positionen verloren. Ebenso wird dokumentiert, dass bei der Wiederaufnahme des Ausbildungsbetriebs die Sterbas als Lehrende übergangen wurden.
Andreas Peglau
Maria von Stach (1876‒1948), verheiratete Lessing/Naef/Dingler, Patientin und Freundin von Karen Horney
Der Beitrag bringt weitere Informationen über Teilnehmer am Weimarer Kongress 1911. Andreas Peglau skizziert anhand von z.T. neuerschlossenem Material die wechselvolle Lebensgeschichte der Publizistin und Frauenrechtlerin Maria von Stach. Besonders hervorhebenswert ist ihre langjährige Beziehung zu Karen Horney, zunächst als deren Patientin, dann als Freundin. ‒ Michael Schröter ergänzt unsere bisherigen Kenntnisse über den Thüringer Sanatoriumsarzt Georg Wanke, der von der Hypnosebewegung her zur Psychoanalyse kam. Im September/Oktober 1911 besuchte er 1. den Weimarer Kongress, hielt 2. in einer Psychiaterversammlung einen Vortrag »Über Psychanalyse« und trat 3. in die Berliner Ortsgruppe der IPV ein. Sein Buch von 1924 enthält bemerkenswerte Überlegungen zur Sterbehilfe, die vermutlich Freuds direkte Zustimmung fanden. ‒ Last but not least gibt A. Peglau dem Fotografen des Weimarer Bildes, Franz Vältl, ein Gesicht.