Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie
Zeitschrift für Psychoanalyse und Tiefenpsychologie
Traumatische Prozesse und ihre Auswirkungen
Printausgabe – Heft 190, 52. Jg., 2/2021
Inhalt
Vorwort
Frank Rosenberg
»Alle sind tot, nur einer nicht«
Claudia Burkhardt-Mußmann
»Ich liebe ihn so sehr«
Behandlung eines zu Beginn Fünfjährigen mit dem Symptom zwanghafter Masturbation vor dem Hintergrund sexueller Übergriffe
Christoph Müller
Die Zerstörung der Repräsentationsfähigkeit im Trauma
Karin J. Lebersorger
»Wenn ich einmal Opa bin...«
Chancen und Grenzen der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie im Zwangskontext
Jürgen Heinz
Gefühle von Fremdsein
Vignetten – nicht nur – aus der Behandlung von Jugendlichen
Forum
Patrick Meurs
Veränderte Praxis, veränderte Beziehungen?!
Einflüsse der Corona-Pandemie auf die psychotherapeutische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen
Buchbesprechungen
Die Autorinnen und Autoren des Heftes
Ankündigungen
Frank Rosenberg
»Alle sind tot, nur einer nicht«
Der Beitrag schildert die Langzeitbehandlung eines komplex traumatisierten Jungen, der als einziger seiner Familie den Brand in einem Flüchtlingswohnheim überlebte. Innerhalb der traumafokussierten analytischen Therapie kommen Ansätze zum Umgang mit einer narzisstischen Persönlichkeitsorganisation, prägenden malignen Introjektstrukturen im Geflecht mit der Traumakonfrontation zum Tragen und führen letztendlich zur Bewältigung bzw. Auflösung traumafixierter Strukturen. Besondere Beachtung wird zum einen der Analyse der initialen Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehnisse geschenkt, die viele Hinweise auf zentrale unbewusste Dynamiken geben, aber zunächst unverständlich bleiben. Zum anderen werden verschiedene Dynamisierungen der Übertragung durch überwältigende Langeweile beleuchtet.
Schlüsselwörter: Frühes Trauma, Schocktrauma, Introjektbildung, Überlebendenschuldgefühl, globale Scham, Langeweile, posttraumatisches Spiel, Psychotherapie mit Geflüchteten.
Claudia Burkhardt-Mußmann
»Ich liebe ihn so sehr«
Behandlung eines zu Beginn Fünfjährigen mit dem Symptom zwanghafter Masturbation vor dem Hintergrund sexueller Übergriffe
Dargestellt wird die Behandlung eines Jungen, der im Kleinkindalter durch den Großvater mütterlicherseits Opfer sexueller Übergriffe war. Im Verlauf der Behandlung wird deutlich, dass auch die Mutter des Jungen durch ihren Vater sexuellem Missbrauch ausgesetzt war. In Form von »latentem Inzest« (Hirsch, 1987) gibt sie diese Erfahrung transgenerational durch die Herstellung eines Klimas sexueller Überstimulierung an den Sohn weiter. Vor dem Hintergrund einer unbewusst eingegangenen, pseudo-ödipalen Verbindung des Elternpaares, ist der Vater des Jungen nicht in der Lage, die verführerische Überstimulierung des Sohnes durch die Mutter zu unterbinden. Zwei zentrale Themen bestimmen die Behandlung: In der ersten Hälfte der Therapie steht als Folge des latenten Inzests die Bearbeitung real erlebter Kastrationsängste im Mittelpunkt. In der zweiten Hälfte wird der Patient bedrängt von der unmöglichen Suche nach dem Sinn der sinnlosen traumatischen Beziehungserfahrung.
Zum Verständnis der speziellen Psychodynamik dieses Falles mit Trauma spezifischem Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehen und Enactments, werden psychosexuelle Entwicklungsmodelle ebenso herangezogen wie objektbeziehungstheoretische Konzepte. Anhand neuerer Ansätze zur Traumatheorie wird die Bedeutung von Enactments dargelegt als Chance, Prozesse zur Symbolisierung von abgespaltenen traumabezogenen Erfahrungen anzustoßen.
Schlüsselwörter: Sexueller Missbrauch im Kindesalter, transgenerationale Weitergabe sexuellen Missbrauchs, Enactment, traumatische Übertragung.
Christoph Müller
Die Zerstörung der Repräsentationsfähigkeit im Trauma
In dem Beitrag wird das Spezifische des Traumas in der Sprache Bions charakterisiert und von neurotischen Konflikten abgegrenzt. Darauf aufbauend werden Konsequenzen für die Theoriebildung entworfen, vor allem in Bezug auf die Konzepte Reinszenierung, Wiederholungszwang und korrigierende emotionale Erfahrungen. Es werden empirische Eindrücke vorgestellt, welche die spezifischen Auswirkungen von Traumatisierungen auf die professionellen Gegenüber verdeutlichen. Abschließend werden therapeutische Konsequenzen diskutiert.
Schlüsselwörter: Psychoanalytische Theorie, Trauma, Reinszenierung, Containment.
Karin J. Lebersorger
»Wenn ich einmal Opa bin...«
Chancen und Grenzen der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie im Zwangskontext
Verpflichtung zur Psychotherapie stellt einen Widerspruch zur Freiwilligkeit des Behandlungswunsches dar. Im Institut für Erziehungshilfe Wien wurden seit zwei Jahrzehnten Konzepte entwickelt, die Psychotherapie als Maßnahme der Kinder- und Jugendhilfe für schwer deprivierte Familien möglich machen. Die Bearbeitung der Bedeutung des Zwangskontextes und des damit verbundenen Rahmens ist von Anfang an unerlässlich. Ziel ist, auf verschiedenen psychotherapeutischen Ebenen in Kooperation mit der Kinder- und Jugendhilfe den multipel belasteten Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern psychisches Wachstum zu ermöglichen und transgenerationale Wiederholung zu unterbinden. Die damit verbundenen komplexen Herausforderungen werden anhand eines Fallverlaufs dargestellt.
Schlüsselwörter: Psychotherapie im Zwangskontext, psychotherapeutische Elternarbeit, Kinder- und Jugendhilfe, imaginäres Kind, Return of Investment, COVID-19-Pandemie.
Jürgen Heinz
Gefühle von Fremdsein
Vignetten – nicht nur – aus der Behandlung von Jugendlichen
Dieser Beitrag gliedert sich in drei Kapitel, in denen ich drei Jugendliche vorstelle, die sich aus unterschiedlichen Gründen fremd fühlen. Anhand der Kasuistiken und theoretischer Überlegungen zeige ich, wie und warum es zu diesem Fremdsein gekommen ist und wie diese Jugendlichen es geschafft haben, sich mehr oder weniger beheimatet zu fühlen.
Schlüsselwörter: Fremdsein, Beheimatetsein, Heldenmythos, Migration.