Susanne Benzel
Schampotenziale in digitalen Welten
In dem Beitrag werden Schampotenziale in Verbindung des Aufwachsens mit digitalen Medien beleuchtet. Im Zentrum stehen kulturelle Wandlungen von Interaktionen und Beziehungsgestaltungen infolge voranschreitender Digitalisierung. Anhand von ausgewählten Beispielen aus Forschungsfeldern und Klinik wird der Frage nachgegangen, auf welche Weise in Familien, Kindheit und Adoleszenz Schamempfindungen mit digitalen Medien verbunden sein können. Entwicklungstheoretisch liegt ein besonderer Fokus auf der Bedeutung des Blickes in Verbindung mit dem Schamerleben in digitalen Welten. In kulturtheoretischer Hinsicht wiederum wird argumentiert, dass nicht nur veränderte, sondern neue Formen von Scham bzw. fehlender Scham oder gar Schamlosigkeit mit Nutzungspraxen digitaler Medien entstehen.
Schlüsselwörter: Kindheit, Adoleszenz, Social Media, Flucht und Migration, Remote.
Jens Tiedemann
Die mannigfaltigen Gesichter der Scham
Scham und Schamkonflikte belasten Menschen in unterschiedlicher Weise und hemmen Lebensfreude, Selbstwertgefühl und intime Beziehungen grundlegend. In der Scham erfährt das Subjekt eine Infragestellung und Bedrohung der sozialen Akzeptanz und Anerkennung. Scham ist aber nicht nur ein subjektives Gefühl, sondern hat auch eine intersubjektive Dimension, die aus der Entwicklungsgeschichte herrührt.
Schlüsselwörter: Scham, Affekte, Emotionen, Trennungsangst.
Angela Moré
»…und sie erkannten, dass sie nackt waren«
Der Text greift einen Aspekt der transgenerationalen Weitergabe von Traumata und verleugneter Schuld auf, der in der Diskussion bisher eher vernachlässigt wurde: die zentrale Bedeutung von Schamgefühlen. Sie sind sowohl Teil von traumatisch erlebten Demütigungen, Misshandlungen oder Missbrauch wie auch von verleugneter Schuld(verstrickung). Während Wurmser (2014, 56ff.) darauf verweist, dass Schamgefühle bei großer Intensität traumatogene Wirkung haben können, hebt Tiedemann (2010, 535ff.) die intersubjektive Natur der Scham hervor. Beide Aspekte zusammen genommen machen plausibel, dass Scham stets ein Teil des unbewusst weitergegebenen Gefühlserbes zwischen den Generationen ist: Denn Scham ist mit Traumata verbunden, und deren Weitergabe ist ein interpersonelles Geschehen. Anhand von drei autobiografischen Texten veranschaulicht die Autorin die Bedeutung ererbter Schamgefühle für die davon betroffenen Nachkommen.
Schlüsselwörter: transgenerationale Weitergabe, Scham, Schuldgefühl, Trauma, frühkindliche Entwicklung.
Elisabeth Schörry-Volk
Die Bedeutung von Scham und Schuld für generative Verantwortung
Im Zentrum des Artikels soll in Anlehnung an Vera King das Fehlen von generativer Verantwortung stehen, welches sich angesichts der ökologischen Krisen in besonderer Weise zeigt. Dazu werden erstens kollektive Steigerungsmythen und ihre Folgen auf sozialer, ökonomischer und seelischer Ebene dargestellt. Zum zweiten soll der Frage nachgegangen werden, was aus psychodynamischer Sicht eine Verantwortung und Sorge für die Lebensbedingungen und -möglichkeiten der Folgegeneration und des Planeten verhindert. Insbesondere werden dabei Scham- und Schuldgefühle betrachtet, indem sie das Anerkennen der eigenen Verwobenheit und Verführbarkeit im kollektiven Fortschrittsmythos verhindern. Drittens geht es mir um Möglichkeiten für das überforderte Ich in eine Position von generativer Verantwortung zu kommen. Dazu kann das einordnende Verstehen des individuellen und gesellschaftlichen Verhaltens vor dem Hintergrund der jeweiligen Zeitgeschichte entlastend wirken. Darüber hinaus können Mythen und Märchen eine Brücke herstellen, in dem sie als Narrative mit starker Symbolkraft dem Ich einen tieferen Zugang zum kollektiven Unbewussten als dem transgenerationellen Speicher von Wissen herstellen und realistische Hoffnung
für Neuanfänge ermöglichen. Als Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutinnen und -therapeuten könnte es für uns zudem von Interesse sein, wirkmächtige Narrative und Parabeln aus aktuellen kulturellen Erzeugnissen (Filmen, Serien, Musik, Literatur uvm.) zu kennen, welche zu generativer Verantwortung mit dem Planeten beitragen können.
Schlüsselwörter: Scham und Schamlosigkeit, Fortschrittsmythos, Selbstoptimierung, Märchen und Mythen als Korrektive, Generative Verantwortung.
Thomas Stadler
Der unbewusste Raum der Scham
Der Autor versteht Scham im Sinne einer umfassenden unbewussten Fantasie, die prägend für den gesamten unbewussten Raum sein kann, aus dem heraus das Selbst, die Anderen und die Welt verstanden werden. Die Entstehung leitender unbewusster Fantasien steht im Zusammenhang mit frühen »naiven« Interpretationsversuchen des Erlebten und ist von Beginn an interaktional und dialogisch. Das Grundgefühl der Daseins-Scham bzw. des »Nicht-richtig-Seins« wird beispielhaft an der Behandlung eines achtjährigen autistischen Jungen verdeutlicht und die Darstellbarkeit der prägenden Verinnerlichungen (Figurabilität) sowie behandlungstechnische Optionen werden illustriert und diskutiert.
Schlüsselwörter: unbewusste Fantasie, unbewusster Raum, Darstellbarkeit.
Werkstattbericht
Helene Attenberger
»Da ist mir jetzt jemand wichtiger« – Die Schwangerschaft der Therapeutin und ihre Bedeutung für die Psychotherapie.
Beitrag im Rahmen der VAKJP-Jahrestagung 2024 »Schuld und Scham«
Während eine PatientInnenbehandlung oftmals über lange Zeit in regelmäßigen Bahnen verläuft, kann die Schwangerschaft der Therapeutin diese Verlässlichkeit deutlich stören. Neid auf das wachsende Baby, Wut und Hass auf die versagende Therapeutin spielen eine Rolle. TherapeutIn und PatientInnen können mit Schuldgefühlen kämpfen, innerhalb der therapeutischen Beziehung und in Bezug auf den wachsenden Bauch und das Baby. Diese Gefühle werden innerhalb kurzer Zeit virulent – und nicht immer gibt es ein gemeinsames Danach.
Schlüsselwörter: Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie, Schwangerschaft, Schuld, Scham, weibliche Potenz, Psychoanalyse.